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Ein Juwel: Dina Ugorskaja spielt Schubert

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik„Man wacht nachts auf und weiß nicht, wo man ist. Ist man überhaupt in einer Realität? Ist alles ein Traum? Diese Musik gibt es sie wirklich, dieses rastlose Irren, oder ist die Musik man selbst, ein Teil eines größeren, überdimensionierten (Alb)-Traums?“ Dina Ugorskaja zu den nachgelassenen Klavierstücken D 946.

Rezension von Ingobert Waltenberger.

Die russisch-deutsche Pianistin Dina Ugorskaja, Tochter einer Musikwissenschaftlerin und des Klaviervirtuosen Anatol Ugorski, starb am 17. September 2019 an den Folgen einer Krebserkrankung in München. Die wunderschöne Frau mit den großen ausdrucksstarken Augen wurde gerade einmal 46 Jahre alt. Im von ihr geliebten Wien hatte Ugorskaja ab 2016 eine Klavierprofessur an der Universität für Musik und darstellende Kunst inne. Das vorliegende Schubert-Album erschien posthum im Oktober 2019.

Dina Ugorskaja hatte ihre erste Begegnung mit der Musik Schuberts in Leningrad 1978. Als Fünfjährige sang sie von ihrem Vater am Klavier (auf den Namen „Der rote Oktober“ getauft) begleitet, lauthals Lieder aus der „Schönen Müllerin“. Das eigentliche Schubert Initiationserlebnis fand aber drei Jahre später statt, als sie ihre Mutter in die Leningrader Philharmonie zu einem Konzert Evegnij Mravinskijs mitnahm. Auf dem Programm stand die „Unvollendete“, ein für die Musikerin unvergessliches und prägendes Erlebnis. 1990 floh die Familie abrupt nach Berlin und verbrachte dann fünfzehn lange Jahre entwurzelt in Detmold. Dort spielt die 19-jährige die späte B-Dur Sonate D 960 zum ersten Mal in einem Vortragsabend im Detmolder Brahmssaal.

„Schuberts göttliche Längen begleiten mich mein Leben lang. Die Zeit scheint in dieser Musik manchmal ganz stehen zu bleiben, der Zustand des Verweilens überwiegt alles andere. Der Schmerz, das Unerträgliche, Abgründe, Ausweglosigkeit überfüllen uns. Wie kann das sein, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod, die in seiner Musik so unmittelbar und präsent ist, sich doch auf einmal in einer verfliegenden Vergänglichkeit auflösen kann? Es entsteht ein ungeahntes Glück, Freude, ein kindliches Lachen. Dieses Kindliche zusammen mit einer beispiellosen Reife macht für mich das Wesen der Musik von Franz Schubert aus.“ (Dina Ugorskaja)

Beim Hören der beiden CDs, vor allem aber der B-DurSonate stockt einem der Atem. Mit ungemein breiten und ruhigen Tempi (Ugorskaja braucht für  die Sonate D 960 etwa 6 Minuten länger als Francesco Piemontesi in seiner ebenfalls neuen und exzellenten Aufnahme der letzten Klaviersonaten Schuberts) spielt sie diese Musik von den letzten Dingen wie aus der Ferne, wie aus einem Netz heraus, das einen machtvoll wegzieht. Ihre Vorbilder sind die „Alten“: Artur Schnabel, Annie Fischer, Clara Haskil und Maria Yudina. Da geht es nicht mehr um Fragen der Technik, des Anschlags oder der Temporegie. Ugorskaja führt uns aus einer indirekten Perspektive zu einem gnadenlosen Spiegel als tiefem Brunnen, gleichzeitig erzählt sie uns mit Schubert von einem Abschied und von Zuversicht. Da ist so viel an entrückter Trauer, leise vor sich hinsingender Selbstverlorenheit und langsamem Entschwinden im Andante sostenuto. Die Zeit scheint vollkommen still zu stehen, gleichzeitig aber wirft diese in ein blaues Schimmern gehüllte Interpretation einen sanften beruhigenden Blick auf etwas, das wir nur erahnen können. Mit traumwandlerisch schlichtem Zugang durchmisst Ugorskaja dieses Universum an Tönen, genau Schritt für Schritt in innerer Einkehr setzend, bewusst und stetig den Weg abschreitend. Allzu große dynamische Kontraste und Rubati meidet sie. Ugorskaja ist eine Seismographin der Schubert‘schen Gefühle in diesem pianistischen Schwanengesang. Jede noch so kleinste Erschütterung überträgt sich auf den Hörer. Eine Wiedergabe nicht von dieser Welt, im Wesentlichen unbeschreibbar, genauso wie unverzichtbar.

Lassen Sie sich auch von den kleineren Klavierstücken D 946 und Moments Musicaux forttragen. Auch hier hält Frau Ugorskaja das Tempo, nimmt sich Zeit für die kleinen Noten (einer ihrer Lieblingssprüche lautet: „Wichtig ist, was unwichtig ist, und unwichtig, das, was wichtig ist.“), für die organische Entwicklung und konsequente Durchführung der Themen. Ob schicksalhaftes Läuten, beispiellose Ausgelassenheit, Herb-Derbes oder surreal gezeichnete Klangwelten, Ugorskaja verliert nie das Maß, nie den Faden, nie die Klammer, die alles zusammenhält. Dazu berührt ihre Art, Musik zu schaffen, mit dem Hörer verständlich und klar zu kommunizieren. Das Album ist in jeder Hinsicht ein Juwel.

„Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen.“ Diese schöne Grabinschrift Franz Grillparzers für Franz Schubert könnte auch für Dina Ugorskaja geschrieben worden sein.

Dina Ugorskaja
Franz Schubert: Sonate D 960
Drei Klavierstücke D 946
Moments Musicaux D 780
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