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Ein Monat voll zeitgenössischer Musik

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zeitgenössische musik

Es darf gefeiert werden: 2017 rief Lisa Benjes für die inm – initiative neue musik berlin e.V. die Informationsplattform field notes mit dem Ziel ins Leben, die Sichtbarkeit zeitgenössischer Musik in Berlin zu steigern. Feuilletonscout sprach mit der Initiatorin.

Feuilletonscout: Der Monat der zeitgenössischen Musik findet in diesem Jahr zum fünften Mal statt. Wie hat sich das Festival in den vergangenen Jahren entwickelt und eventuell auch verändert?
Lisa Benjes: Man sagt, dass ein Festival fünf Jahre braucht, um sich zu etablieren und das können auch wir so beobachten. Mittlerweile hat sich der Monat der zeitgenössischen Musik fest im Konzertkalender der Berliner Szene eingeschrieben und auch unser Publikum wächst von Jahr zu Jahr. field notes wurde 2017 als Informationsplattform rund um die Berliner zeitgenössische Musik mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Sichtbarkeit der zeitgenössischen Musik in Berlin zu steigern. Nach fünf Jahren würde ich sagen, dass es uns insbesondere mit dem Monat der zeitgenössischen Musik gelungen ist, ein Schlaglicht auf die vielfältigen Aktivitäten der Szene zu legen. Nachdem wir nun auch die Zerreisprobe im letzten krisengeschüttelten Jahr gut überstanden haben, werden wir dieses Jahr unser erstes kleines Jubiläum also besonders feiern.

Feuilletonscout: In diesem Jahr geht es im Monat der zeitgenössischen Musik um die Stadt. Was macht sie mit der Musik und umgekehrt. Sie sagen in Ihrer Pressmeldung, „In den Straßen und Parks zeigt sich schon jetzt, dass der öffentliche Raum mit aller Konsequenz zurückerobert wird.“ Woran machen Sie das fest?
Lisa Benjes: In der zeitgenössischen Musik ist es ja insbesondere die Freie Szene, die schnell und flexibel auf neue Gegebenheiten reagieren kann. Nach einer anfänglichen Ohnmacht nach der Schließung des Kulturbetriebs durch die Pandemie, die mit den damit verbundenen Ängsten um ganze Existenzen nur allzu nachvollziehbar war, konnte man bald ein Schub von Kreativität mit ganz neuen Formaten zwischen drinnen und draußen und online und offline beobachten. Zunächst wurde der digitale Raum neu vermessen und wir haben mit unserer Reihe #SafeAndSound digitale Tagebücher, virtuelle Festivals, digitale Bühnen zum Proben und Performen und vieles mehr begleitet. Sobald es die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie zuließen, ging die Musik ins Freie und entwickelte corona-sichere Interventionen im öffentlichen Raum wie Schaufensterkonzerte, Audiowalks in Parks, Quartette für fahrende Autos und vibrierende Lautsprecher, Lautsprecher wurden in Büsche gehängt oder auf Fahrräder geschnürt und so die Straßen zur Bühne gemacht. Die Beschränkungen der letzten Monate hat – ohne die Auswirkungen der Pandemie auf die Kultur romantisieren zu wollen –eine gewaltige Kreativität freigesetzt. Was dort entstanden ist bleibt bestehen und wird nun in der nächsten Konzertsaison sichtbar übernommen.

Festival Labor Sonor : Translating Spaces am 27. August 2021 / (c) Stefanie Kulisch

Feuilletonscout: Wie spiegelt sich das im diesjährigen Programm des Monats für zeitgenössische Musik wider?
Lisa Benjes: Bei rund 100 Veranstaltungen mit zeitgenössischem Programm an über 40 Berliner Bühnen und unter freiem Himmel setzen sich diverse Projekte mit dem Thema des (Stadt)Raums auseinander. Darunter die Konzertinstallation von Katharina Rosenberger und Betina Kuntzsch mit dem ensemble mosaik »Urban Morphologies«, das sich mit den akustisch-visuellen Auswirkungen von Gentrifizierungsprozessen beschäftigt (01.09. silent green Kulturquartier). Das »BerlinBesenBallett« (04.09.) von katrinem bespielt die Beläge der Straßen und Plätze Berlins mit eigens komponierten und choreografierten Kehr-Stücken für Besen-Instrumente – Berliner*innen sind zum Casting eingeladen. Mit der Reihe »UA Berlin« erzählt das Zafraan Ensemble musikalisch die Geschichte Berlins von den 1910er Jahren bis heute. In seinem Konzert in der Kantine am Berghain (08.09.) präsentiert das Ensemble das Herz der 90er Jahre in Berlin: die Clubkultur und zeigt, wie sich die Komponist*innen dieser Zeit davon inspiriert haben. Auch die Maulwerker widmen sich in ihrer mobil-partizipativen Konzertreihe »Orte und Räume« (12.09.) ausgewählten Orten im urbanen Raum, um sie akustisch erfahrbar zu machen. Für die Sarotti-Höfe konzipierten sie mit Alexey Kokhanov als Gast neue Kompositionen, die das Publikum herausfordern, den Raum hörend neu zu konstruieren, Kontrapunkte um verwinkelte Ecken herum zu verfolgen, die Polyphonie immer wieder neu zusammenzusetzen. In unserem Rahmenprogramm finden vertiefend Gespräche zur Neugestaltung der Innenstädte nach der Pandemie und zu Bühnen von Morgen in einem erweiterten Verständnis ihrer Aufgaben statt.

Feuilletonscout: Eines der Highlights ist sicher das Klangkunstfestival sonambiente am Flughafen Tegel. Wie kam es zu der Location und was erwartet den Zuschauer/Zuhörer?
Lisa Benjes: Das Klangkunstfestival sonambiente txl berlin am ehemaligen Flughafen Tegel am 20. August ist dieses Jahr Vorspiel des Monats der zeitgenössischen. sonambiente berlin txl ist die nach 1996 und 2006 dritte Ausgabe des legendären Klangkunstfestivals und findet 2021 in den historischen Terminals des aufgegebenen Flughafens Berlin-Tegel statt, der zu diesem Anlass erstmals seit seiner Schließung Raum für Kunst bietet. Gezeigt werden Klanginstallationen der drei international herausragenden Künstler*innen Blixa Bargeld, Emeka Ogboh und Susan Philipsz. Es sind allesamt Auftragsarbeiten für die Beschallungsanlage von TXL. Am Ende des Rundgangs kann man außerdem mit einer VR-Film-Installation von Laurie Anderson zum Mond fliegen. Zum letzten Mal wird der Flughafen – im früheren realen Betrieb selbst ein überwältigendes soziales Klangkunstwerk – öffentlich zugänglich und erlebbar sein.

Feuilletonscout: Das diesjährige Programm ist unglaublich umfangreich. Wie haben Sie die Vorbereitungen dazu getroffen, alles miteinander koordiniert und abgestimmt, noch dazu in Corona-Zeiten und immer mit der Ungewissheit, durch erneute Pandemie-Beschränkungen alles absagen zu müssen?
Lisa Benjes: Wir haben der Szene früh die Daten bekannt gegeben und sind mit allen Beteiligten im stetigen Austausch. Tatsächlich musste eines der größten Projekte kurz vor Drucklegung des Festivalprogramms noch abgesagt werden und auch zum jetzigen Zeitpunkt können wir natürlich nicht vollständig sicher sein, dass alles wie geplant stattfindet. Am Anfang der Pandemie wurde noch mit verschiedenen Szenarien zwischen Stattfinden, Absagen und diversen Einschränkungen gearbeitet. Man muss aber sehen, welchen Kraftakt dieser exponentielle Planungsaufwand für Veranstalter*innen bedeutete, da sämtliche organisatorische Mehrarbeit sowie der administrative und künstlerische Mehraufwand unbezahlt blieben. Wie auf neue Pandemie-Beschränkungen reagiert wird, sehen wir im Einzelfall. Die Szene zeigt sich in Hinsicht auf die Maßnahmen zur Einschränkung der Verbreitung der Pandemie äußerst verantwortungsvoll.

Festival Labor Sonor : Translating Spaces am 27. August 2021 / (c) Stefanie Kulisch

Feuilletonscout: Gibt es ein „Backup-System“, falls es wieder stärkere Corona-Beschränkungen geben sollte?
Lisa Benjes: Mit dem Sound > Walk > Berlin haben wir gewissermaßen aus der Not eine Tugend gemacht. Künstler*innen, Ensembles und Bühnen der zeitgenössischen Musik gestalten zum Monat der zeitgenössischen Musik diverse Orte in ganz Berlin klanglich neu und laden Bewohner*innen und Besucher*innen dazu ein, die Stadt aus ihrer Perspektive zu erfahren. So kann bei den Spaziergängen im selben Zug die Stadt sowie die zeitgenössische Musikszene (neu) entdeckt werden.
Auf einem virtuellen Stadtplan haben Berliner Künstler*innen diverse Orten mit Musik und Sounds versehen, die klanglich mit dem Ort interagieren und Ausgangspunkt eines Klangerlebnisses sein können. Die einzelnen Klangstationen sind auf einem virtuellen Stadtplan eingezeichnet, die – mit Kopfhörern ausgestattet – spazierend erkundet werden können. Der Stadtplan lässt sich ab dem 20. August über die QR-Codes abrufen, die in der ganzen Stadt verteilt sind, oder unter www.field-notes.berlin/soundwalk.

Feuilletonscout: Wie erleben Sie die Akzeptanz von zeitgenössischer Musik? Spricht man eher ein Spezial-/Experten-Publikum an? Oder doch inzwischen auch Publikum, dass normalerweise in klassische Konzerte geht oder anderes, nennen wir es Mainstream, bevorzugt? Haben Sie das Gefühl, dass zeitgenössische Musik langsam auch in der Mitte der Bevölkerung ankommt?
Lisa Benjes: Das Publikum der zeitgenössischen Musik ist so bunt wie die Szene selbst. Das Publikum der komponierten Neuen Musik kommt vielleicht eher aus der Klassik, bei der Improvisation und der Echtzeitmusik gibt es große Überschneidungen mit dem Jazz, das Musiktheater zieht u.a. Publikum der Performing Arts, die Klangkunst findet Anklang in der bildenden Kunst und experimentelle elektronische Klänge eher Anhänger aus der Clubmusik. So wie sich diese Subszenen immer wieder neu in einzelnen Projekten mischen, mischt sich auch die Zusammensetzung des Publikums. So pauschal kann man das also gar nicht sagen. Ich glaube, dass sich das Vorurteil der schweren Verdaulichkeit neuer Musik vor allem daraus speist, dass immer wieder versucht wird, sie dem Publikum klassischer Musik in sogenannten Sandwichkonzerten, bei denen eine neue Komposition nicht länger als 5 Minuten dauern darf, unterzujubeln. Entgegen der Erwartung, und das belegen Publikumsstudien, findet zeitgenössische Musik aber weniger Anklang beim Publikum klassischer Musik, sondern vielmehr bei Publikum, das sich für zeitgenössische Künste im Allgemeinen begeistert.

Festival Labor Sonor : Translating Spaces am 27. August 2021 / (c) Stefanie Kulisch

Feuilletonscout: Wie viele Zuschauer/Zuhörer erwarten Sie? Wie waren die Besucherzahlen in der Vergangenheit?
Lisa Benjes: Die Zahlen sind in diesem Jahr leider nicht besonders aussagekräftig, da die Kapazitäten bei allen Veranstaltungen reduziert sind, um Abstandsregelungen einzuhalten. Schon jetzt zeigt sich aber in den Verkaufszahlen, dass viele Veranstaltungen vollständig ausgelastet sein werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Lisa Benjes!

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