Alexa Hennig von Lange entwirft in „Kampfsterne“ ein Kaleidoskop der Achtziger Jahre, bei dem einem das Grinsen erfriert. Eine Rezension von Barbara Hoppe.
War es wirklich so schlimm, damals, in den achtziger Jahren? Haben unsere Mütter – also die, deren Kinder damals zwischen acht und 16 Jahre alt waren – wirklich Blüschen und H-O-S-E-N-R-O-C-K (!) getragen? An die permanenten Versuche der Modeschöpfer, dieses fürchterliche Kleidungsstück hoffähig zu machen, kann ich mich gut erinnern. Gelungen ist es ihnen bis heute nicht.
Aber darum geht es in Alexa Hennig von Langes neuem Roman „Kampfsterne“ auch nicht. Blüschen und Hosenrock sind hier nur Fassade eines Lebens, das trotz aller Anstrengungen gründlich schiefläuft. Dabei gilt auch nicht Adornos berühmt gewordener Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Die Frage müsste vielmehr lauten: „Gibt es ein falsches Leben im richtigen?“
Denn den Protagonisten geht es genau genommen ziemlich gut. Da sind Ulla und Rainer, ein Architektenehepaar mit ihren Kindern Lexchen und Constanze, genannt Cotsch. Klara und Johannes sind die Kinder von Rita und Georg, ein eher langweiliger Typ mit Brille, Vollbart und Cordanzug. Und Ella und Bernhard haben Joschi, der gern mit Lexchen spielt. Doch es brodelt unter der vermeintlichen Idylle und Gutbürgerlichkeit der Siedlung, in der die Familien leben. Rainer schlägt Ulla, eine bildhübsche Frau, die nie aufbegehrt, auf ihre Kinder fixiert ist und von der pubertären und mit reichlich sexueller Erfahrung gesegneten älteren Tochter Constanze als ewiges Opfer verachtet wird. Während die achtjährige Lexchen das Kinder-Alter Ego der Autorin zu sein scheint: rothaarig, sommersprossig und so süß, dass alle Familien die Kleine vergöttern. Rita wiederum begehrt nicht ihren Mann, sondern Ulla, die mit Lexchen ein Töchterchen hat, an das die eigene Tochter Klara in punkto Ausstrahlung nie herankommen wird. Georg hingegen hat sich in seiner verkorksten, kommunikationsarmen Ehe eingerichtet und isst Knäckebrot lieber neben dem Komposthaufen als die Konfrontation zu suchen. Johannes findet Constanze toll, die ihn dann irgendwann auch. Joschi und Lexchen sind super Freunde, aber Klara drängt sich dazwischen. Ella muss derweilen feststellen, dass ihr Mann sie betrügt.
Nichts stimmt also in dem an sich so friedlichen Umfeld, wo es allen gut gehen könnte, weil alle sich so redlich darum bemühen. Alexa Hennig von Lange entwirft ein erschreckend realistisches – fast möchte man sagen Sittengemälde – einer Wohlstandsgeneration wie es sie wohl zu tausenden in Deutschland gab. Ein Achtziger-Jahre-Feeling umspült uns, das weder bequem noch nostalgisch ist, sondern bitter. Jede und jeder kommt zu Wort. Mal spricht Rita, dann Ulla, dann die genervte Constanze, die Ehemänner und natürlich die Kinder, die das Treiben ihrer Eltern scharfsinniger wahrnehmen als es diesen lieb sein kann. Wir tauchen ein in einen Mikrokosmos aus Liebe und Verachtung, aus Langeweile und den Vorboten der Helikopter-Eltern, aus Revolte und Unterwerfung. Und dabei gelingt Alexa Hennig von Lange ein Ton, der durchaus sarkastische Züge hat, durchsetzt von bisweilen wohl formulierten Sätzen. So können wir auch kaum glauben, dass eine Achtjährige Dinge sagt wie „Dicht neben mir atmet meine Schwester mit ihren dunklen, geflochtenen Zöpfen. Ich sehe ihre langen schwarzen Wimpern. Ich sehe ihre gebräunten Hände, die meiner Puppe eine neue weiße Spitzenbluse anziehen, und ich sehe, wie Papa plötzliche die Terrassentür mit Wucht aufstößt.“ Das ist ziemlich komplex ausgedrückt für ein kleines Mädchen. Aber genauso lesenswert wie das Philosophieren der beiden Teenager Cotsch und Johannes. Ich kenne niemanden aus meiner Schulzeit, der sowas drauf hatte. Glaubwürdiger sind da schon die Erwachsenen in all ihrer Be- und Gefangenheit, in ihrer Wut über nicht gelebte Leben und zerplatze Träume. Ja, „Kampfsterne“ sind sie, diese Eltern, die alles richtig machen wollen und patzen. Deren Kinder ihnen entgleiten, ohne dass sie es merken. Deren Bürgerlichkeit an der Enge implodieren muss. Alexa Hennig von Lange hat sich grandios ins kollektive Unwohlsein an falscher Bürgerlichkeit geschrieben.
Alexa Hennig von Lange
Kampfsterne
DuMont Buchverlag, Köln 2018
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