Zum Inhalt springen

Giorgione: Neues Gemälde entdeckt

Rating: 5.00/5. From 2 votes.
Please wait...
Ausstellung

Sensationsfund in München: Doppelportrait als Werk von Giorgione enttarnt. Bayerischer Kunstminister spricht von »Weihnachtswunder«. Stephan Reimertz lädt Feuilletonscout-Leser zu einer exklusiven Pilgerreise ins Heilige Land der Kunst ein.

München wirkt nach Weihnachten etwas abgefressen. Alles kalt und grau. Die Caféhausdichte hat seit meiner Studienzeit stark abgenommen. Auch Einkaufengehen ist nicht so einfach. Ludwig Curtius, der ebenfalls in München studierte, berichtet aus der Zeit kurz vor 1900, es habe dort »keine Spießer« gegeben. Nur Bauern und Künstler. Gern hätte man damals dort gelebt. Lang ist’s her! Die beneidenswerte Zeit endete spätestens mit dem Zuzug verschiedener Dax-Unternehmen. Der ultimative Umbruch erfolgte um 1980. An dem Stimmungsunterschied, der sich zwischen den beiden Mini-Serien Monaco Franze und Kir Royal dartut, kann man das leicht nachvollziehen. Schwingt in der Reihe von 1983 noch etwas Lässig-Elegantes der Münchner Bohème aus den Siebziger Jahren nach, ein urbaner Charme, wie ihn besonders der unnachahmliche Hauptdarsteller Helmut Fischer aufträgt, haben wir es drei Jahre später mit der eingemauerten, geldigen Stadt der Achtziger Jahre zu tun, alles ist hart und schwer, und dieses München hat letztendlich die Oberhand gewonnen. Die ehemalige »stadt von volk und jugend« (Stefan George) ist heute die Stadt von Siemens, BMW und Burda. Geht man ins Museum, mag man sich noch in einzelnen Momenten der Illusion hingeben, man wandle in durch ein demokratisches, bildungsbürgerliches Gemeinwesen. Der Schritt vor die Tür jedoch belehrt sofort von der technokratischen Realität.

Giorgione: Neue Heimat in der Alten Pinakothek

Die Alte Pinakothek ist eine nach dem Krieg mühsam zusammengeflickte Baracke. Die ärmliche Nachkriegsarchitektur, wie sie an allen Ecken und Enden durchschimmert, steht zu den jahrhundertealten Schätzen, die dieses Haus als eines der führenden Kunstmuseen Europas birgt, in schroffem Gegensatz. Dass man aber auch so gar kein Gespür für Details zeigt! Das Café präsentiert sich als dürftige Betriebskantine, in der man nicht rasten mag. Das Blachfeld vor dem Museum sieht aus wie eine Baustelle und ist wohl auch eine. Am Eingang soll man seine Kleider in ein Schließfach verstauen wie in einem Schwimmbad. Solchermaßen herabgestimmt und von beturnschuhten Mitbesuchern wenig inspiriert erklimmen wir Kabinett 5, wo feinste Beispiele italienischer Frührenaissance sich ein Stelldichein geben. Giorgione, oder Giorgio Barbarelli da Castelfranco, wie amtlich sein Name lautete, Freunden und Verehrern auch als Zorzo bekannt, ist in der Ecke mit von der Partie; neuerdings wissenschaftlich verbürgt und amtlich beglaubigt mit zwei Werken. Im sechsten Sonett seines Venedig-Zyklus, das einleitend Tizian gewidmet ist, gedenkt August von Platen unseres Malers in einem Atemzug mit Veronese in vorbildlicher, schöner Form: »Verbrüdert mögt ihr noch die Hände reichen / Dem treuen, vaterländischen Giorgione, / Und jenem Paul, dem wen’ge Maler gleichen!«

Und in der Tat: Bürgerlich, vertrauensvoll, gutherzig, zugleich aber skepisch und aufgeklärt, so ist die Stimmung zwischen Mann und Jüngling in dem neu zugeschriebenen Doppelporträt zu nennen. Man könnte an eine Vater-Sohn-Darstellung denken, wir haben es aber mit einer Lehrer-Schüler-Beziehung zu tun. Die beiden Männer wurden als der junge Giovanni Borgherini und sein Lehrer, der Humanist Trifone Gabriele (1470–1549) identifiziert. Wäre das Bild nicht im Grünen Gewölbe der Königlichen Residenz gehangen, wo es seit 2011 seinen Platz wahrte, sondern schon wie heute neben Giorgiones Bildnis eines jungen Mannes von 1505/11, die Verwandtschaft hätte den Betrachtern schon früher ins Auge stechen und auf die gemeinsame Urheberschaft hindeuten müssen. Tatsächlich ist der verhalten skeptische Ausdruck, hinter dem fühlbare persönliche Stärke bereitsteht, auch bei dem anonymen Porträtierten zu greifen.

Kunsthistorische Untersuchungen bestätigen den Fund

Letztendlich haben kunsthistorische Untersuchungen, Material- und Röntgenanalyse (Infrarotreflektografie und der Makro-Röntgenfluoreszenz-Methode), weitere Pinselzeichnungen, die unter dem heute sichtbaren Bild verborgen liegen, die Hand des Giorgione verraten. Das ca. 92 auf 67 Zentimeter große Doppelporträt, das bereits Vasari erwähnt, und das der Künstler um 1509/10 fertigte, charakterisiert mit Astrolabium und Zirkel den Älteren als Lehrmeister der Astronomie und Kosmologie. Die Sprache der Hände verrät, dass wir uns in einer Lehrsituation befinden. Presse und Öffentlichkeit in München sind aus dem Häuschen. Der bayerische Kunstminister Markus Blume stellte fest: »Der Fund eines Giorgiones in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist ein wahres Weihnachtswunder!« Und Andreas Schumacher, Leiter der Sammlung für italienische Malerei an der Alten Pinakothek, betont: »Das Gemälde ist von unschätzbarem Wert, es ist ein spektakulärer Glücksfall für die Alte Pinakothek und eine Sensation für die italienische Kunstgeschichte«.

So bewahrheitet sich wiederum das Wort von John Keats: »A thing of beauty is a joy for ever«; nicht zuletzt kann es in jeder Epoche neue Überraschungen bereithalten. Mit meinem Hauptfach Kunstgeschichte geht es mir so, dass ich nun als erwachsener Mann das Gefühl habe, mit achtzehn Jahren so etwas wie die richtige Frau geheiratet zu haben, und sie zudem heute noch mehr zu lieben als damals. Dabei gerieten leider schon zu meiner Studienzeit die alt-aristokratischen Traditionen unseres Faches unter Druck, und ein neuer Studententyp drängte sich ein, von dem man das Gefühl hatte, er müsse sich in Soziologie, Pädagogik oder Politologie wohler fühlen. »Ihr seid ja sehr nett, aber was wollt ihr eigentlich hier?« Eine Generation später hat dieser Typus das akademische Fach Kunstgeschichte übernommen und zerstört. Der sowohl technokratisch als auch ideologisch bestimmte Typus des neuen »Kunstwissenschaftlers« hat mit der alten jeunesse dorée nicht mehr viel gemein. Man braucht ein bestimmtes Maß an innerer Unabhängigkeit, an Unbeeinflussbarkeit von Moden und Ideologien. Der jahrhundertelang unentdeckte Giorgione steht in denkbarem Widerspruch zu dem Kunstgeschrei der Neuen Reichen seit der Kir-Royal-Generation, die vor allem ihr Geld an die Wand hängen wollen; dergestalt, dass man den Maler sofort erkennt. Ah, Bacon! Aha, Warhol! Andernfalls hat es keinen Wert. Welch ein Kontrast zu dem jahrhundertelang unentdeckten Meisterwerk aus der Frührenaissance!

Ich möchte Sie aus unserem besinnlichen kleinen Spaziergang durch die Alte Pinakothek aber nicht entlassen, ohne Sie zum Abschied noch auf zwei Kleinformate hinzuweisen, die ganz in der Nähe hängen: Da wäre zum einen das – sowohl was den Dargestellten, als auch, was die Darstellung angeht – beherzte Porträt des Willem Croes, eines der beiden Bilder von Frans Hals, das die Pinakothek besitzt. Trotz seines Kammerformats verfügt das Werk über den rauen und frischen Strich, der Meister Hals Jahrhunderte später zusammen mit Velázquez zu einem Idol der Impressionisten und namentlich Manets machen sollte. Ich denke, das ist hier zu greifen. Bitte entschuldigen Sie, das ich bei diesen Aufnahmen das Handy so schräg gehalten habe; bei der unmöglichen Beleuchtung in der Pinakothek war es nicht anders möglich. In den Kabinetten mit den Kleinformaten haben wir freilich auch vielfach Gelegenheit, uns an der satirischen Verve der niederländischen Meister zu delektieren. So prostet uns Jan Steen aus seiner humoristischen Darstellung eines literarischen Zirkels heraus zu: Bei solchen Rederijkers handelte es sich um dilettantische Zirkel, in denen sich Wichtigtuer zu Schreibwettbewerben zusammentaten. Kommt uns das bekannt vor?

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert