Emre Aksızoğlu, Knut Berger, Jonas Dassler und Taner Şahintürk stehen seit Januar 2020 gemeinsam auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters. Der autofiktionale Abend „In My Room“ von Falk Richter und Ensemble beleuchtet hintersinnig und humorvoll den Einfluss von Vätern auf das Männlichkeitsbild ihrer Söhne. Jetzt bringen die vier Schauspieler und Freunde mit „Ciao“ eine eigene Produktion auf die Bühne, in der sie u.a. das sie einende Band untersuchen. Ronald Klein sprach mit den Künstlern.
Feuilletonscout: War es bei „In My Room“ für Euch außergewöhnlich, als Schauspieler selbst an der Textentwicklung beteiligt zu sein?
Knut Berger: Ich habe nie anders gearbeitet.
Taner Şahintürk: Das ist hier am Haus gang und gäbe. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es bei der ersten Probe einen fertigen Text gegeben hätte, bei dem wir die Textmarker hervorholen und unsere Einsätze markieren. Das ist aber woanders in der Tat häufig der vermeintlich normale Weg.
Feuilletonscout: Bei „In My Room“ gibt es festes Skript, aber ebenso kleine Modifikationen des Textes, die jeden Abend stets einzigartig machen. Es wirkt aber stets so, dass Euch die Interaktion miteinander unheimlichen Spaß macht.
Taner Şahintürk: Für uns war schnell klar, dass wir über „In My Room“ hinaus weiter miteinander arbeiten wollen.
Jonas Dassler: Wir wussten aber noch nicht, welche Form das haben könnte.
Emre Aksızoğlu: Wir saßen eines Abends zusammen und überlegten, wie wir unsere Freundschaft und das künstlerische Interesse aneinander zusammenführen könnten. Eine Band stand auch im Raum, weil wir die gemeinsamen musikalischen Momente bei „In My Room“ so genießen.
Jonas Dassler: Stimmt. Die Idee kam nach dem Besuch des Kiss-Konzerts.
Feuilletonscout: In der Institution Theater spielt der Begriff des Ensembles eine Schlüsselrolle. Vielleicht schwingt da aber auch eine Romantisierung mit, denn das Gemeinsame, das Einende scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein.
Jonas Dassler: Wenn die Besetzung eines Stücks zusammengestellt wird, ist selten klar, was daraus erwächst. Wir sind in der Vorbereitung von „In My Room“ durch einen gemeinsamen Prozess gegangen, bei der jeder sehr persönliche Aspekte offengelegt hat. So wächst man als das Ensemble eines Stücks noch einmal ganz anders zusammen. Das ist auch der Ausgangspunkt von „Ciao“: Die Frage, wer wir zusammen sind.
Knut Berger: Diesen Prozess, den Jonas beschreibt, führte zu einem sehr starken Gefühl von Solidarität. „Ciao“ bildet die Fortsetzung der Auseinandersetzung damit. Was bedeutet diese Solidarität? Wie können wir diese kontextualisieren?
Taner Şahintürk: Wir fingen an, Schlagworte aufzuschreiben. Diese sind auf der Webseite zu finden. Im Probenprozess haben wir dann ausgeleuchtet, wie wir die Themen erzählen können, die uns interessieren.
Feuilletonscout: Inhaltlich und formal bildet aber „Ciao“ keine Fortsetzung zu „In My Room“?
Knut Berger: Personell gibt es eine Kontinuität. Formal und inhaltlich agieren wir ganz anders. Die Musik wird sehr zentral sein, die Spielszenen finden um sie herum statt. Wir sind mit der Ausstattung viel zufriedener. Ich sitze beispielsweise an einem Schlagzeug mit einer ordentlichen Basedrum.
Feuilletonscout: Von wem stammt die Musik? Covert Ihr Songs?
Jonas Dassler: Auch. Aber es gibt ebenso eigene Songs. Wir können noch gar nicht sagen, welche Tracks letztlich den Weg auf die Bühne finden.
Feuilletonscout: Etwas von Kiss?
Jonas Dassler: Nein. Aber warum eigentlich nicht?
Feuilletonscout: Wofür steht der Titel „Ciao“?
Taner Şahintürk: Er stand früh fest, weil er unterschiedliche Konnotationen besitzt. Man benutzt den Begriff zur Verabschiedung, aber genauso zur Begrüßung. Wir sind schnell ins Nachdenken darüber gekommen. Abschied bedeutet stets auch einen Neuanfang. In Bezug auf die bereits angesprochene Solidarität: Jeder Einzelne verabschiedet sich von seinem Ego und eröffnet damit den Raum für etwas Gemeinsames.
Feuilletonscout: Ihr arbeitet ohne feste Regie. Im tradierten Theater erscheint dieser kollektive Prozess ungewöhnlich.
Emre Aksızoğlu: Wir testen beim Probenprozess unterschiedliche Modelle aus und wechseln uns bei der Probenleitung ab. Wir bringen Ideen mit, testen diese aus. Die Probenleitung macht etwas, das die Regie im Idealfall leistet: Sie sitzt da und beschreibt, was sie sieht. Die Regie fungiert somit als Spiegel, um den Probenprozess vorwärts zu bringen. Es geht aber eben nicht darum, den anderen eine eigene Vision aufzuzwingen.
Taner Şahintürk: Es ist ein basisdemokratisches Arbeiten, bei dem man nicht zu viert, sondern manchmal zu acht am Tisch sitzt und anfängt zu brainstormen. So entsteht langsam eine Szene. Gemeinsam mit unserem Team – insbesondere Maryam Zaree, die die Endproben anleitet, während wir auf der Bühne stehen, und der Dramaturgin Valerie Göhring, die beide viele inszenatorische Impulse beisteuern, ohne die die Stückentwicklung nicht möglich wäre – überlegen wir, wo ein Bruch erfolgen könnte, wo sich der Einsatz von Musik oder eines Chores anbietet. Wir haben im Vorfeld viel erarbeitet, was jetzt in Form gebracht wird.
Knut Berger: Es entstehenVorgänge, die mit einer herkömmlichen Regie so nicht denkbar sind – einfach, weil wir uns so gut kennen und gemeinsam auf der Bühne stehen. Ich mag dieses Arbeiten sehr, weil sich alle gleichberechtigt einbringen können. Beispielsweise kristallisierte sich bei unserem Regieassistenten heraus, dass er künstlerisch mit uns arbeitet – viel mehr als das, was sonst Regieassistenten machen.
Feuilletonscout: Ihr unternehmt den Versuch, Tradiertes im Theaterbetrieb ebenso wie Hierarchien aufzubrechen?
Jonas Dassler: Wir sind dabei herauszufinden, wie wir arbeiten wollen. Der Versuch flacher Hierarchien ist nicht einfach in einer Institution wie dem Theater, das sehr hierarchisch organisiert ist. Und erschreckender ist, dass wir als Verantwortliche Vorgänge reproduzieren, über die wir uns als Schauspieler sonst immer aufregen: Beispielsweise Probenpläne spät schreiben und entsprechend spät mitzuteilen. Natürlich ist es für alle Beteiligten besser, wenn sie im Vorfeld wissen, wann sie in den kommenden Tagen arbeiten.
Feuilletonscout: Ist „Ciao“ wie „In My Room“ ein autofiktionales Stück?
Emre Aksızoğlu: Eine gute Frage, die aber schwierig zu beantworten ist, weil wir alle einen anderen Blick auf den Begriff haben.
Taner Şahintürk: Sobald eine Erfahrung aufgeschrieben wird, findet bereits die Fiktionalisierung statt. Es gibt eine Überhöhung, die den Vorgang bühnentauglich macht.
Knut Berger: Etwas nur nachzuerzählen reicht eben nicht.
Jonas Dassler: Ich denke, je länger eine biografische Erinnerung zurückliegt, umso mehr schreibt man diese automatisch um.
Emre Aksızoğlu: Am Ende spielt es auch keine Rolle, ob das Erzählte wahr ist oder ausgedacht. Entscheidend ist die Wirkung. Für einen schauspielerischen Vorgang brauchen manche vielleicht einen derartigen Zugang über reale Erlebnisse. Für das Publikum ist es aber irrelevant. Hauptsache, die Schauspielenden sind zu der Emotion gekommen und ich kann glauben, was auf der Bühne passiert. An dieser grundsätzlichen Verabredung hat sich nichts geändert: Wir spielen hier Theater.
Ciao
Uraufführung: 1. Juni, 19:30 Uhr
22. Juni, 19:30 Uhr
3. Juli, 19:30 Uhr
Maxim Gorki Theater
Am Festungsraben
10117 Berlin
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