Rezension von Barbara Hoppe
Die DDR gibt es nicht mehr, aber ihre Schatten sind lang.
Man nehme eine traumatisierte, erfolgreiche Cellistin, einen abgewrackten Journalisten, eine skrupellose Zeitungsherausgeberin, ein paar ehemalige KGB-Mitarbeiter und Stasi-Spitzel, einen korrupten Verfassungsschutz, Berlin und Zürich sowie einen begnadeten Drehbuchautor und fertig ist ein erstklassiger Thriller.
So einfach ist es natürlich nicht. Doch Lucas Grimm – Pseudonym für eben diesen erfolgreichen Drehbuchautor, Musiker, Schauspieler und Filmemacher – legt die Latte bereits auf den ersten Seiten in „Nach dem Schmerz“ sehr hoch. Beklemmend ist der Einstieg, als die erst siebenjährige Hannah Gold von ihr unbekannten und unheimlichen Männern aus der Bonzen-Villa in Wandlitz abgeholt wird, um zu ihrem Vater, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium der DDR, gebracht zu werden. Etwas ist anders gegenüber früher, wenn er sie zu sich rief, um für ihn auf dem Cello zu spielen. Der Leser erfährt bald, was dem Mädchen widerfuhr. Gefoltert vor den Augen ihres Vaters, um von ihm einen Code zu erpressen, wird sie, die siebenundzwanzig Jahre später eine gefeierte Cellistin ist, das einstige Trauma nicht mehr los, so tief sie auch versucht, es zu vergraben. Hannah fühlt keinen Schmerz mehr. Sie kann sich die Finger blutig spielen, ohne eine Regung zu zeigen. Ein ewiges Vermächtnis des Leids.
Diese vermeintlich zerbrechliche, schwer traumatisierte Frau ist nicht sympathisch. Sie ist eine Diva, unberechenbar bei Auftritten und gegenüber ihrem Publikum. Sie ist nicht die einzige Antiheldin des Thrillers. Genau genommen hat Lucas Grimm seine Geschichte mit lauter Antihelden besetzt. Denn Hannah Gold, die eines Abends ihren tot geglaubten Vater im Publikum entdeckt, gerät durch dieses Aufeinandertreffen in den Strudel ihrer Vergangenheit. Und trifft dabei auf David Berkhoff, ehemaliger Kriegsreporter, gescheiterter Starjournalist und ohne einen gewissen Alkoholpegel im Blut nicht lebensfähig. Skrupellos und korrupt ist er, nur die große Story vor Augen, die ihn rehabilitieren soll. Er schläft mit Marlene Albers, seine Ex-Frau und diejenige, die darüber entscheidet, ob seine Geschichten gedruckt werden. Er lässt sich von ehemaligen Agenten und Stasi-Spitzeln anheuern, um Hannah auszuhorchen.
Denn sie alle sind auf der Jagd nach den Rosenholz-Dateien. Sieben verschwundene CDs, auf denen die Klarnamen von Politikern, Journalisten und Unternehmern sind, die vor dem Mauerfall für die DDR spioniert haben. Daten, die viel Geld bringen, für Hannah aber vor allem die Erklärung, warum ihr Vater es damals zuließ, dass sie gefoltert wurde. Daten, die skrupellose Gewalt auslösen, durch die Menschen mit einem Wimpernzucken von der Bildfläche verschwinden. Eine Jagd, die Gefühle sterben lässt, sofern sie überhaupt noch vorhanden sind. Daten im Übrigen, die es tatsächlich gibt. Während die Deutschen auf der Mauer tanzten, verschwanden sie im Hintergrund und werden bis heute von der Stasi-Unterlagen-Behörde unter Verschluss gehalten.
Lucas Grimm komponiert seinen Thriller meisterhaft. Eine spannende, wendungsreiche Komposition und eine atemlose Jagd mit ungewöhnlichen, unsympathischen Charakteren, deren Verfilmung schon im Gespräch ist. Es passiert ganz selten, das ein Autor auf der ersten Seite mit einem Spannungsmoment einsetzt, den er bis zur letzten Seite ohne einen Ausrutscher, ohne je zu straucheln, durchzieht. Chapeau!
Lucas Grimm
Nach dem Schmerz
Piper Verlag, München/Berlin 2017
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Der Autor liest aus seinem Buch in Berlin:
Am Donnerstag, 20. April 2017
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Nicolaische Buchhandlung, Rheinstraße 65, 12159 Berlin
Am Donnerstag, 29. Juni 2017
Mit musikalischer Begleitung.
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Miss Marple Krimibuchhandlung, Weimarer Straße 17, 10625 Berlin
Coverabbildung © Piper Verlag
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