Kolumne von Susanne Falk.
Sie verstehen es einfach nicht! Es ist zum Haareraufen. Warum nur kapieren so viele den Unterschied zwischen autobiografisch und authentisch nicht? Dass die Leserschaft es nicht immer versteht, ist das eine, dass die Kritik es nicht versteht, ist das andere. Und das andere ist ernüchternd.
Alles, was geschrieben steht, ist wahr. Muss ganz einfach wahr sein. Bei dem ausufernden Wahnwitz an autobiografischer Literatur, von der die Hälfte großartig und die andere schlichtweg zum Kübeln ist, muss irgendwo die Wahrheit dazwischen versteckt liegen. Irgendwo zwischen zwei Buchdeckeln, auf denen „Nach einer wahren Begebenheit“ steht, hält sie sich bereit, lauernd, um uns bei erstbester Gelegenheit davon zu überzeugen, dass ein autobiografischer Roman, egal wie schlecht er auch sein mag, immer authentischer ist als jeder noch so gut erdachte fiktionale.
Dass kaum je irgendwo so viel gelogen wird wie in Autobiografien – geschenkt. Und wenn nicht gelogen, so wird doch wenigstens eine Menge weggelassen. Die Sollbruchstellen in den sonst so glatt polierten, oft literarisch verwursteten Promibiografien sind wohlkalkuliert. Ich zeig dir mein eines, wirklich schreckliches Kindheitserlebnis – und verschweige dafür den Rest. Trotzdem huldigen Leserschaft wie auch Kritik gerne dem Mut, den die Person an den Tag legt, um „ihre Geschichte zu erzählen“.
Na bravo, denke ich mir und verweise gerne auf den von mir weidlich beforschten Autor Hans Habe, der mit Hingabe Falschinformationen über seine Person entweder selbst in Umlauf brachte oder diese wenigstens nicht korrigierte, um vor der Welt besser dazustehen. So hält sich bis heute der Mythos, er sei mit 21 Jahren der jüngste Chefredakteur Europas gewesen. War er nicht. Er war 23 und es gab und gibt eigentlich keine Möglichkeit zu überprüfen, ob es nicht etwa zur selben Zeit, z.B. in Finnland, einen noch viel jüngeren Chefredakteur gegeben haben könnte. So strickt man Mythen, so funktioniert autobiografisches Schreiben. Authentisch, also wahr, ist daran leider gar nichts.
Authentizität bedeutet, dass ein Text wahrhaftig ist. Deswegen muss er noch lange nicht wahr sein oder auf wahren Ereignissen beruhen. Ich kann ein 80-jähriger Mann sein und dennoch einen Roman über eine zwanzigjährige Frau schreiben, welcher der Hauptfigur, dem Konflikt, der Sprache in so hohem Maße gerecht wird, dass die Leserschaft nicht anders kann, als ihn für besonders authentisch, also wahrhaftig, zu halten. Große Fiktion ist große Literatur. Dagegen kann ich mich noch so sehr an meinem eigenen Trauma abarbeiten – es kommt vielleicht ganz üble Schlüssellochliteratur dabei heraus. Die ist dann zwar in Teilen wahr, aber deswegen noch lange nicht gut. Denn wahr mit gut und fiktional mit minderwertig gleichzusetzen, ist ein fataler Irrtum. Genauso wie ich nicht ernste Literatur mit guter Literatur gleichsetzen sollte und Unterhaltung dagegen von vorneherein abwerte. Plastisch gesprochen: Nur weil ich die Nazivergangenheit meiner Vorfahren aufarbeite, kommt da noch lange nicht der Roman des Jahrhunderts bei heraus. Obwohl ihn die Kritik zwangsläufig der E-Literatur zuordnen wird, weil er von vornherein thematisch mit Bedeutsamkeit aufgeladen wurde.
Autorinnen und Autoren sind Lügner, allesamt. Wir können das gut. Davon leben wir. Also möge man uns bitte nicht dauernd danach fragen, was an unseren Büchern denn wahr sei. Im besten Fall ist nichts davon wahr. Aber im Idealfall ist alles daran wahrhaftig. Wer sich im Umkehrschluss darüber entrüstet, dass die Autobiografie nicht zum Buch passt, der hat Literatur nicht verstanden.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.