Der neue Roman von Leon de Winter ist ein literarischer Drahtseilakt zwischen Politthriller, Familiendrama und Metaphysik. Von Barbara Hoppe.
Die Zukunft des Nahen Ostens liegt auf den Schultern einer jungen Frau. Fast noch ein Mädchen, 17 Jahre alt, Tochter des Herrschers von Saudi-Arabien. Das älteste seiner Kinder und sein Augapfel. Sie soll der Region dauerhaft Frieden bringen, indem sie seine Nachfolge antritt, das Land langsam modernisiert und die Emanzipation der Frauen voranbringt. Doch Noora ist krank. Ein schwer zugängliches Geflecht aus Blutgefäßen in ihrem Kopf beeinträchtigt sie von Tag zu Tag. Ohne Operation wird die junge Frau sterben. Mit einer Operation aller Voraussicht nach auch. Denn alle Untersuchungen zeigen, dass kein Neurochirurg der Welt die gefährliche Gehirnoperation erfolgreich wird durchführen können.
Auf der Suche nach Erlösung
Wäre da nicht Jaap Hollander. Er gilt als einer der besten auf dem Feld der Neurochirurgie. Inzwischen im Ruhestand, findet er allerdings keine Ruhe. Zehn Jahre zuvor verschwand seine Tochter Lea spurlos in Israel. Damals war sie so alt wie Noora heute. Jedes Jahr kehrt Jaap an den Ort zurück, wo sie zuletzt gesehen wurde: am Ramon-Krater in der Wüste Negev. Führt er die Operation durch, winken ihm viele Millionen, die eine letzte große Suchaktion finanzieren würden. Gelingt sie allerdings nicht, droht ihm der Tod. Doch Jaap ist mit seinem Leben fertig. Wider besseren Wissens verspricht er, dass die Operation glücken und das Mädchen wieder gesund wird. Und siehe da – das Unmögliche geschieht.
Ein packender Roman zwischen Politik, Religion und Schicksal
Der neue Roman von Leon de Winter „Stadt der Hunde“ geht ohne Umschweife in die Vollen. Unter dem israelischen Ministerpräsidenten (Anspielungen unverkennbar) und dem saudischen „Herrscher“ (Anspielungen unverkennbar) sowie 1 Milliarde Dollar Honorar für eine erfolgreiche Operation, allerdings auch der Tod, falls sie misslingt, fängt die Geschichte gar nicht erst an. Sicher, die Suche nach Lea und die Trauer um verpasste Chancen lässt Jaap sein ganzes verkorkstes Privatleben Revue passieren, in dem durchaus auch normale Menschen seinen Weg kreuzten. Und er muss es sich eingestehen: Er, der erfolgreiche und international gefeierte Neurochirurg war als Ehemann, Vater und Chef ein Ekel, der jede Krankenschwester seines Hospitals im Bett hatte und froh sein konnte, dass MeToo erst später aufkam.
Gewohnt fesselnd weiß Leon de Winter das Setting zu inszenieren: Der narzisstische Mann, Jude, aber nicht religiös, egoistisch, gefangen in einer komplizierten und alles andere als harmonischen Familienbeziehung. Der verfahrene Nahost-Konflikt und die Hoffnung auf Frieden. Unweigerlich wird man gepackt von der Dynamik des Geschehens.
Thriller mit Schwächen
Allerdings muss man auch so einiges schlucken. Arg herbeigezogen wirkt die Geschichte, dass der arabische Herrscher, ein skrupelloser Politiker, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, in seiner einzigen Tochter die Friedensbringerin für die Region und Emanzipation der Frauen sieht. Vom Saulus zum Paulus? Ebenso geläutert wie Jaap Hollander, der erst mit dem Verschwinden seiner Tochter die Liebe zu ihr entdeckte und nun die Möglichkeit sieht, Abbitte zu tun? Der Leser reibt sich verwundert die Augen. Und liest großzügig darüber hinweg, denn längst hat der niederländische Magier ihn in seinen literarischen Fängen.
Politik, Religion, Tragödie und Spannung – Leon de Winter greift in die Kiste seiner bewährten Romanzutaten und zaubert einmal mehr einen mitreißenden Roman. Ach ja, fehlt noch das Metaphysische. Das erscheint Jaap und dem Leser sozusagen post operationem. Denn plötzlich liegt der Neurochirurg mit einem Tumor im Kopf selbst auf dem OP-Tisch. Was danach passiert, ist ein Feuerwerk an Twists, die dem erfahrenen Drehbuchautor Leon de Winter alle Ehre machen und an den Rand des Totenreichs führen. Die titelgebenden Hunde spielen dabei übrigens keine unerhebliche Rolle. Denn in Tel Aviv, so scheint es, hat jeder einen Hund. Und – so viel Andeutung sei erlaubt – in der Mythologie fungieren sie oft als Begleiter ins Jenseits.
Viel Stoff also, der bei gebotener Kritik hervorragend unterhält und wohl komponiert ist. Wäre da nicht ein Schlusskapitel, das ein bisschen zu gewollt noch unbedingt seinen Weg in den Roman finden musste. Schade drum.
Leon de Winter
Stadt der Hunde
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Leon de Winter “City of Dogs”: Drama with weaknesses
Leon de Winter’s novel City of Dogs follows Jaap Hollander, a brilliant neurosurgeon. When the Saudi ruler’s gravely ill daughter needs surgery, he promises to save her—despite the impossible odds—in exchange for a billion dollars to fund the search for his missing daughter.
The story weaves political intrigue, personal tragedy, and metaphysical themes. Once ruthless in his career and private life, Hollander seeks redemption. But the the whole story is far-fetched.
Still, de Winter captivates readers with compelling dynamics and strong characters. The tension rises to an unexpected finale, where the surgeon becomes the patient—and dogs play a crucial role.
Conclusion: A gripping thriller with an immersive atmosphere and smart twists, though the ending feels slightly overambitious.
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