Was du ererbt von deinen Vätern…
Von Barbara Röder.
Bayreuths „Der Ring des Nibelungen“ im Jahre 2023 in der Regie von Valentin Schwarz zeigt im zweiten Jahr marginal wichtige Ergänzungen, wird mit plausiblen Bildern und skurriler Szenerie versehen. Immer noch wird kontrovers gestritten, aber nicht immer reflektierend nachgesonnen, was im inneren Ausdeutungskern des mächtigen Fünfzehnstünders steckt. Möge Schwarz verziehen sein, dass er zusätzliches „Ring“-Personal einsetzt, sich Wimmelbilder gleiche Szenen durch das Werk ziehen, die das Kreativ-Team Andrea Cozzi (Bühne), Andy Besuch (Kostüme) und Louis August Krawen (Video) gestalten. Oft outen sich diese Bilder gar als Puzzleteilchen, um das gehaltvolle Gesamtkunstwerk irritierend vor Ohr und Auge explodieren zu lassen. Denn wir sehen mit dem Ohr genauso wie wir mit dem Auge zu hören vermögen.
Schwarz ist unbeirrt der Frage auf der Spur, was „Der Ring“ sei, was Gier, Gewalt in einer Empathie fernen Welt mit uns heutigen Menschen macht. Und er bleibt sich treu. Mit innovativem, kreativem Mut, der fern von jeglichem Konformismus den Bayreuther Werkstattcharakter huldigt. Außer Frage steht zudem, dass sich in Valentin Schwarz’ Wagner‘schem Welttheater-Epos beklemmende Wirklichkeitsbezüge tummeln, die Unruhe und Missbehagen auslösen. Aber hat das nicht auch der Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau von 1976, welcher von Anti-Chéreau-Flugblattprotesten begleitet, vor dem Bayreuther Festspielhaus die „Blauen Mädchen“ davon abhielt, Programme zu verkaufen? Wir erinnern uns an die berüchtigte ausgebuhte Hans Neuenfels „Lohengrin-Ratten-Show“. „Kult forever“ und Hall-of Fame-Status wird diesen singulären Highlights, den sich immer wieder seit ihrer Gründung und Eröffnung 1876 durch den Meister Richard Wagner erneuernden Bayreuther Festspielen, bescheinigt.
Lassen wir uns darauf ein, was die unendlich bittere, unheilvoll schmerzliche Familiensaga unter Valentin Schwarz aus der „Ring“-Personage zutage fördert. Es sind, sofern unser musikdramatisches, inneres Brennglas funktioniert, genauste Psychogramme, die wir wahrnehmen. Erschreckender Wiedererkennungswert in der realen Welt inklusive. Jede einzelne Figur des Schwarz-„Ring“ ist nicht nur Figur oder Person, sondern ist als lebendiger, in unserer Jetztzeit verankerter individueller Charakter erfahrbar. Eine herbeigesehnte Utopie klingt nur aus dem Graben, vereinzelt und ansatzweise im Liebespaar Siegfried und Brünnhilde, und den durch geschwisterliche Liebe verbundenen Sieglinde und Siegmund. Wir verfolgen die lange Klang getränkte, Leid- und Leitmotiv durchzogene Blutspur hin zur „Götterdämmerung“. Wagner bezeichnete sie spöttisch ironisch als „Weltuntergangs-Couplet“. Am tragischen 2023er-Neonröhren beschienenen Ende des „Weltschöpfungsmythos“, alles führt natürlich zum Anfang zurück, bleiben die Menschen im Bühnenraum und Zuschauerraum gebannt sprach- und utopielos, ja gänzlich unerlöst zurück.
„Das Rheingold“, der Vorabend des „Bühnenfestspiels“
Die Zukunft ist vorprogrammiert im „Wiegenlied der Welt.“
Arizona-Sonnenstrahlen neigen sich in einen schicken Swimmingpool. Der Himmel leuchtet glutrot als hätte die Dämmerung der Götter, die Weltexplosion, Menschheitsauslöschung schon stattgefunden. Es blubbert im Untergrund. Das tief tönende Es der Bässe wühlt sich aus dem Urschlamm der Menschheit hervor. Wir fantasieren: Ein Junge, mit gelb-blauem Baseballkäppi lugt aus dem Gebüsch vor einer Luxusvilla. Ihn werden wir begleiten, in seine Familiengeschichte hineinlauschen, ihm als Erwachsenen wieder begegnen. Stumm führt er uns oder seinen Fetisch, die gelb-blaue Baseballkappe, durch die Irrungen und Wirrungen der Ring-Saga. Es ist Hagen, der als Knabe im Hause seines Onkels Wotan lebt.
Dann knipst Klein Hagen zu den Wasserstrudelklängen des „Rheingold“ einen Projektor an. Große Videobilder, herrlich von Videomeister Louis August Krawen eingefangen, beginnen zu leben. Wir schauen ins Innere einer Gebärenden, in den Ursprung des Lebens. Im nährenden Fruchtwasser umschlingen sich die Nabelschnüre der Föten Wotan und seines Zwillingsbruders Alberich, welcher mit Urgewalt seinem Bruder das Auge verletzt. Dieser revanchiert sich mit einem Tritt. Feindschaft herrscht hier von Anbeginn.
Am Pool aalen sich in Faltenröckchentracht die drei Rheintöchter. Sie sind die Kindermädchen für acht Mädchen mit Goldzöpfchen, angestellt von Wotan und Fricka, um das Gold zu hüten. Die Kinder, die Zukunft, liegt in den Nachfahren. Die immanente kluge Idee von Valentin Schwarz ist, dass das Rheingold die Mädchen sind. Dekadent, wie er uns später die Familiengeflechte um Wotan präsentiert, ist der wahre Schatz der männliche Nachkomme, der Sippe, also Hagen, der Sohn von Alberich. Er ist von Anbeginn immer als stumme Rolle dabei und ein frühreifes Früchtchen, gewaltbereit und wird im Verlauf zum innerlich gebrochenen Desperado. Alberich, (Olafur Sigurdarson gestaltet diesen mit launigem Unbehagen, singt mit baritonaler Sprengkraft und bronzenem Timbre) nähert sich in Cowboy-Tracht und Pistole dem Pool. Die herrlich zirpenden, süßlich flirtenden Rheintöchter, Evelin Novak (Woglinde), Stephanie Houtzeel (Wellgunde) und Simone Schröder (Floßhilde) lassen sich die Kinder (das Gold) und Alberichs Sohn Hagen rauben. Der Spott und die Verachtung machen unachtsam. Und sie sind ihren Job los, denkt man.
zu necken und zu locken. Woglinde: Evelin Novak | Wellgunde: Stephanie Houtzeel |
Floßhilde: Simone Schröder – Bildnachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Gleich nebenan des Pools im Luxusetablissement der Gott gleichen Neureichen Wotan und Fricka liegt Gefahr in der Luft, Anzeichen einer Ehehölle deutet die Musik aus dem mystischen verdeckten Graben an. Der finnische Dirigent Pietari Inkinen bereitet behutsam, mit großen musikalischen Gespür für die Ring-Partitur, die verästelten feingliedrigen Dialoge im Orchester des „Rheingold vor. Das hitzig tönende Konversationsgeflecht der Szenerie verbindet er gedacht auslotend mit der komplexen Binnenstruktur der Musik. Inkinen wird den großen musikdramatischen orchestralen Gesangsbogen bis hin zur „Götterdämmerung“ spannen, mit Raum für die ausdrucksstarken Sängerdarsteller. Indessen durchstreift Wotan den protzig angelegten Stahl- und Glasbau. Die Kinderzimmern sind im ersten Stock. Dort legt Wotan sich aufs Kinderbett, fantasiert und singt. Wir ahnen das Schlimmste!
Valentin Schwarz streut so kaum bemerkbare Hinweise, die auf den Charakter dieses sich als Gott begreifenden Menschen schließen lassen. Er hat definitiv tief verborgene Geheimnisse und Begierden. Klar ist, dass Fricka, seine Göttergattin, diese kennt und sie zu ihrem Vorteil nutzt. Der polnische Bassbariton Tomasz Konieczny macht als Fehlentscheidungen und Fehltritte anhäufender Wotan und später als zweifelnder, Angst besessener Wanderer furiose Entwicklungen durch. Koniecznys Bariton ist klar, facettenreich in der Deklamation und gut strukturiert. Dass er am sarkastisch-bösen Ende, der von Schwarz als Generationen übergreifende Familiensaga konzipierten Show, im gleißenden Licht als Selbstmörder von der Decke baumelt, ist mehr als konsequent. Wotan wollte das Ende. Er hat es mit eigener Hand vollzogen.
Das liegt aber noch in weiter Ferne! Im „Rheingold“ gilt erstmal, Schadenbegrenzung zu betreiben. Wotan ist potent und schreitet durch sein Reich. Macht-, ja Allmachtbesessen ist er zudem. Fricka, das wissen wir, erduldet Wotans Fremdgehen. Sie erträgt seine Liebschaft mit Erda, die in dieser Inszenierung eine strenge Haushälterin oder Amme ist. Fricke sorgt für den Unterhalt seiner weiblichen, unehelichen Kinder. Geld ist ja da. Die Familie muss funktionieren. Das ist Frickas Headline. Selbst hat sie keine Kinder. Das nagt immens an ihr. Es macht sie bitter und steuert ihr Handeln. Christa Mayer, die Hügel vertraute Altistin, ist als Fricka mehrfach mit ihrem glanzvollen Alt zu erleben. Neben der, aus Coolness arrogant handelnden Fricka, betört sie als Waltraute und Schwertleite. Eine ihrer ergreifendsten Szenen ist, wenn Fricka mit erhobenem Champagnerglas Wotans Zutrauen abwertet. Eine Kerze brennt am Schluss der „Walküre“ auf einem Tischchen. Nix ist mit Versöhnung im schummrigen Chambre Séparée, das assoziiert wird. Gerade wurde Brünnhilde von ihrem Göttergatten Wotan in eine Glaspyramide zu ewigem Schlaf verdonnert. Fricka ist Freifrau! Ein schwacher Feuerzauber. Ein starkes Bild.
und das verfluchte Gold
Bildnachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Doch zurück ins Theater, in die Verhandlungsszenen des „Rheingold“ um die Bezahlung der Luxusvilla im schönen Walhall. Als Spiegel der realen Welt finden wir in eine schicke Sofalandschaft hineingefläzt Freia (Harley Clark singt zuckersüß und abenteuerlustig) sowie Donner (Raimund Nolte) und Froh (Attilio Glaser), ihre Brüder. Der eine ist einfältiger als der andere. Als die Riesen Fasolt und Fafner im S-Klasse Mercedes-Benz vorfahren – das Orchester lässt lautstark den Motor heulen – ist Zahltag angesagt. Das Wotan-Geschlecht ist mit zwei mafiösen Gesellen gesegnet und konfrontiert, die das Luxus-Walhall gebaut, ja finanziert haben. Freia, die Schöne, nehmen sie bis zum Zahltag als Pfand mit. Fasolt, balsamisch schön und verliebt tönend von Jens-Erik Aasbø gesungen, kann sich nicht gegen den dunkel klingenden, mit cholerischen Gebärden drohenden Fafner (Tobias Kehrer) wehren. Der Familienanwalt Loge, ein Luftikus par excellence, muss her, denkt Wotan. Daniel Kirch verleiht seinem Loge stimmlich eine eher blasse Erscheinung. Szenisch wirkt er wie ein schmieriger Anwalt aus einem schlechten B-Movie der 70er Jahre. Flugs geht es hinunter in die Behausungen von Alberich, denn er hält die geraubten Mädchen (das Gold) in Glaskäfigen gefangen. Sein ihm mit Widerstreben devoter jüngerer Bruder Mime muss sich um die Erziehung (Betreuung) kümmern. Jetzt taucht Klein Hagen auch wieder auf. Aggression und Testosteron steuern seine Gewalt-beladenen Ausbrüche. Alberich hat ihn gelehrt mit Pistole und Schlagring umzugehen. In der kurzen Sequenz in der Mime dem Treiben des Bengels rat- und tatenlos zusieht, wissen wir schon, wo die Reise hingeht: ins Verderben! Arnold Bezuyen gibt hier gesanglich schon einen schönen Vorgeschmack auf den „Siegfried“, wo er zur Hochform als impulsiver, verstörter Charakter-Mime sein Können auslebt. Zwar wird Klein Hagen (der Ring) geraubt, den Riesen übergeben, aber die Götter, die Wotanfamilie geht „ihrem Ende zu“ (Loge). Alle Warnungen, die Erda, Okka von der Damerau begeistert mit erdig-wohliger Brillanz, ausspricht, werden negiert. Was hat eine Haushälterin schon zu melden in diesem unterhaltsamen, seriensüchtig machenden „Rheingold“?
Fortsetzung folgt.
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