Von Barbara Hoppe.
Seit mehr als sechs Jahrzehnten präsentiert das Theatertreffen der Berliner Festspiele kreative und innovative Inszenierungen des deutschsprachigen Theaters. Dieses Jahr waren es insgesamt 738 Produktionen aus 88 deutschsprachigen Städten, die gesichtet wurden. Zehn Stücke sind es am Ende, die sieben Jurymitglieder selbständig auswählen und für das Treffen in Berlin vorschlagen. Das Ergebnis in diesem Jahr sei– so berichtete es Jurorin Valeria Heintges – „düster“. Angesichts der herausfordernden Weltlage spiegele sich das Gefühl einer gewissen Aussichtslosigkeit in allen Inszenierungen wider, so unterschiedlich sie sich auch unserer Gegenwart näherten und so kraftvoll, ermutigend und reflektiert sie auch seien.
Uraufführungen und Debüts
Nora Hertlein-Hull, seit 2024 Leiterin des Festivals, freut die Vielfalt. Gerade weil das Theatertreffen eine enorme nationale und internationale Sichtbarkeit habe, mache es großen Spaß, ein so prestigeträchtiges Festival zu gestalten. „Oft ist der Moment, in dem ich in Ruhe nochmal das Stück sehen kann, für mich überraschend, weil ich Dinge wieder-entdecke, die im Trubel der Vorbereitungen untergehen“, zeigt sie sich vom diesjährigen Programm beeindruckt. Immerhin: Sieben der ausgewählten Produktionen sind Uraufführungen, ebenso viele Regisseurinnen und Regisseure feiern ihre Einladungspremiere.
Von Goethe zur künstlichen Intelligenz
Dabei spielen Klassiker eine ebenso große Rolle wie zeitgenössische Stücke. „Es hat einen Grund, warum manche Stücke „Klassiker“ heißen: es scheint ihnen zu gelingen, in verschiedenen Epochen den Menschen noch etwas zu erzählen, das sie interessiert“, erklärt Nora Hertlein-Hull. In diesem Zusammenhang stellt das Stück „Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh“ der diesjährigen 3sat-Preisträgerin, der Regisseurin Anita Vulesica, eine Besonderheit dar. „‘Die Maschine“‘ ist einerseits formal reizvoll, da es kein dialogisches Stück ist, sondern tatsächlich eine maschinelle Bearbeitung des Goethe-Gedichts, die 1968 als Hörspiel erstellt wurde. Anita Vulesica macht daraus einen überaus unterhaltsamen Theaterabend, der auch noch intelligent mit hoch aktuellen Themen wie künstliche Intelligenz und den Grenzen der menschlichen Kreativität spielt“, weiß Nora Hertlein-Hull zu berichten.
Theater ohne Grenzen
Dass Theater heute viele Formen annehmen kann, zeigen Produktionen wie die Opernperformance „Sancta“ oder Pina Bauschs Tanztheater „Kontakthof – Echoes of ’78“. Für das Theatertreffen sei dies keine Grenzüberschreitung, sondern gelebte Realität: „Diese Offenheit muss im Theatertreffen Platz haben“, betont Hertlein-Hull. Dazu gehöre auch die Produktion „[EOL]. End of Life“ des Regie-Duos DARUM, die virtuelle Realität einsetzt. „Ich denke, das Theater kann und sollte sich technischen Möglichkeiten nicht verschließen, und DARUM schaffen bei [EOL] eine sehr theatrale Umsetzung der VR-Form in einem Bühnenraum. Obwohl es keine Schauspielerinnen und Schauspieler im klassischen Sinne gibt, ist die Produktion durchinszeniert und leitet das Publikum durch eine immersive und intensive Erfahrung“, erläutert Nora Hertlein-Hull diese Uraufführung.
Erfahrungen, über die sich Zuschauer und Theaterschaffende in den traditionellen „Nachtgesprächen“ im Anschluss an die Vorstellungen austauschen können. Nora Hertlein-Hull ist gespannt, wie das abwechslungsreiche Programm ankommt. Für sich selbst weiß sie schon heute – sie erwartet lauter „Lieblingstage“.
Berliner Theatertreffen
2. bis 18. Mai 2025
Dieser Artikel erschien ebenfalls in der Kulturbeilage „Berliner Bühnen“ der Berliner Morgenpost, Mai 2025.
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The Theatertreffen 2025: theater, AI and classics
For over 60 years, Berlin’s Theatertreffen has presented the most exciting productions in German-speaking theatre. In 2025, ten works were selected from 738 entries. The jury described the program as “bleak,” reflecting today’s global mood. Festival director Nora Hertlein-Hull highlights the diversity and power of the selected plays.
Seven are world premieres, with an equal number of debuting directors. Both classics and contemporary pieces are represented. A highlight is Anita Vulesica’s “Die Maschine,” which transforms a 1968 AI-based radio play into a timely, witty stage production.
Innovative formats like VR in “[EOL]. End of Life” and performances such as Pina Bausch’s dance theatre “Kontakthof” are also included. For Hertlein-Hull, this artistic openness is essential to the festival’s identity.
The traditional late-night talks offer space for exchange. Hertlein-Hull is looking forward to many “favorite days.”