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Die Magie des Unterschwelligen

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperChaya Czernowins Oper „Heart Chamber“ an der Deutschen Oper uraufgeführt.

In ihrer vierten, soeben an der Deutschen Oper uraufgeführte Oper „Heart  Chamber“ rückt die israelisch-amerikanische Komponistin Chaya Czernowin den allerinnersten Daseinsaspekten zu Leibe  – nicht weniger und nicht mehr als eine Liebesbeziehung steht im Zentrum. Der Blickwinkel ist aber zuweilen ein allzu distanzierter …Von Stefan Pieper

 

Chaya Czernowin hat mit diesem Thema ganz anderes im Sinn, als dass sie sich hier in irgendwelche Banalitätsfallen stürzen würde – im Gegenteil: Konsequent verweigert sich „Heart Chamber“ unter Regie von Claus Guth so ziemlich allem, mit dem in der konventionellen Oper und so vielen anderen Erzeugnissen der Kulturindustrie das Thema „Liebe“ abgehandelt wird.


Die beiden Protagonisten, einfach nur „Sie und Er“ genannt und mit stilisierter Eleganz und stimmlich imposant von Patrizia Ciofi und Dietrich Henschel verkörpert, befinden sich im heutigen „Normalzustand“ von urbaner Isolation. Wird es gelingen, diese aufzubrechen, wo Einzelmenschen sich in Single-Wohnungen verbarrikadieren und wo jeder einzeln im zubetonierten Raum wie ferngesteuert seinen Alltagszwängen nachgeht? Videoeinspielungen sowie das Bühnenbild von Christian Schmidt ästhetisieren hier konsequent die äußere, domestizierende Alltagsoberfläche. Aber hier treibt das Paar die Handlung mit expressiver Stilisierung an, wenn es die Zufallsbegegnung und alles was daraus folgt, ausbreitet. Verzweifelt nach Nähe ausgehungert sind beide! „Du wirst mich für die Welt öffnen“ sagt „Sie“. Wird diese Hoffnung je eingelöst werden? Aber alle Ansätze von Wunsch-Wahrwerdung zerbersten schnell wieder in einem Strudel von Irritationen. Dort, wo im Stadium einer neuen Liebe erstmal der Autopilot-Modus des alltäglichen Lebens aufgebrochen ist, wo Dämme brechen und sich alles plötzlich so neu anfühlt, türmt „Heart Chamber“ vor allem einen Leidenszustand aus vielen psychischen Komplexen und Verbiegungen auf. Auf der Bühne findet das Unbewusste bzw. beherrschende Über-Ich der Protagonisten eine raffinierte Versinnbildlichung: Jede Hauptperson umschleicht ein eigenes Alter Ego, eine „Schattenfigur“ – hier mit unauffälliger Präsenz von Noa Frenkel und Terry Wey verkörpert.

HEART CHAMBER, Regie: Claus Guth, Uraufführung am 15. November 2019, Deutsche Oper Berlin, copyright: Michael Trippel

Keinen Aufwand scheut der musikalische Rahmen, um das elementare, zerbrechliche (Pseudo-)Glück der Liebenden abzubilden: Das Orchester der Deutschen Oper in voller Besetzung  unter Johannes  Kalitzkes  Leitung hat zusätzliche weitere  Instrumenten- und auch Vokalgruppen zur Unterstützung. Einer der stärksten musikalischen Momente geht direkt zu Anfang auf ein einzelnes Instrument zurück: Ein ausgedehnt perkussives Kontrabass-Solo könnte einer Freejazz-Improvisation entstammen. Hier wirkt es wie ein düsterer Prolog, der zu den ersten Worten zu diesem Zeitpunkt voneinander isolierten Personen überleitet. Streicher, Stimmen, Perkussion, Bläser, Elektronik speisen von da ab einen ruhelosen Fluss aus mikrotonalen Schwebungen, Glissandi, mannigfaltigen geräuschhaften Anspielungen. All dies zusammen verdichtet eine spröde, zugleich darstellerisch bezwingend konsequente Magie des Unterschwelligen! Diesen Gestus konsequent durchzuhalten und auch dramatisch zu verdichten, sich dabei nicht an der Oberfläche in Effekten zu verzetteln, ist allein eine imponierende Leistung dieser Produktion. Zur bedrängenden „Herzkammer“ wird das Opernhaus nicht zuletzt durch raffinierte Raumklang-Gimmicks. Mit von der Partie ist ein akustischer Richtstrahler, mit der eine beklemmende Heimsuchung des Publikums durch Klangereignisse möglich ist. Soviel geballte Konzentration, so viel auf einen Zustand fokussierte Stringenz in gerade mal 90 Minuten zog dann auch einen frenetischen Beifall für die Ausführenden und die Komponistin nach sich.

HEART CHAMBER, Regie: Claus Guth, Uraufführung am 15. Novemberi 2019, Deutsche Oper Berlin, copyright: Michael Trippel

Letztlich muss jeder entscheiden, ob das in „Heart Chamber“ ausgebreitete innerliche und äußere Szenario an die eigenen Erfahrungen und bevorzugten emotionalen Farben zum Thema Liebe anschlussfähig ist. Wo bleibt das rauschhaft-Anarchische, was Verliebtsein dem Leben schenkt? Der in dieser Oper kultivierte distanzierte Blickwinkel lässt eher mutmaßen: Hat hier jemand Angst davor?

Weitere Aufführungen: 21., 26., 30. 11. und 6. 12. 2019

Deutsche Oper
Bismarckstraße 35
10627 Berlin

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