Jader Bignamini erbringt in der Bayerischen Staatsoper den Beweis, dass München immer noch die nördlichste Stadt Italiens ist. Primadonna Ailyn Pérez beschert den Zuhörern eine emphatische Erfahrung. Spielleiter Günter Krämer lässt uns mit vielen Fragen zurück. Rezension von Stephan Reimertz.
Das ist schon ein genialer Musikant, dieser Jader Bignamini. Der Lombarde läuft gerade als Residenz-Kapellmeister des Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi. In aller Welt hat er das Opernrepertoire Italiens vertreten. Wir dürfen uns also seiner Traviata anvertrauen. Wenn er in der Staatsoper mit einem der besten Orchester Münchens die Traviata anrührt – rührende Bewegungen, stets von außen nach innen, sind typisch für seinen Dirigierstil – so hat man die Gelegenheit, einmal zu hören, wie diese Oper wirklich klingt.
Begeisterungsschreie aus dem Parkett
Der noch junge Musikus macht sich zum Medium Verdis und trägt die Partitur frisch und dabei bis in Kleinste abschattiert vor. Schade, wenn der Komponist das nicht hören kann. Es erklingt alles mit größter Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit. Ailyn Pérez singt die Hauptrolle der Violetta wie man sie kennt, als Heulsuse und Östrogenbombe, dabei von größter Einfühlung, besonders auch im Abschiedsmonolog. Im Zuschauerraum bleibt kein Auge trocken. Die drei Schülerinnen hinter mir, zum ersten Mal in der Oper, schrien vor Begeisterung.
Wie kann man heute noch Opern inszenieren?
Charles Castronovo als Alfredo gibt eine fesche Figur ab und gestaltet seine Hauptrolle stimmlich und darstellerisch so vollkommen, als verwandle er sich körperlich in den unglücklichen Liebhaber der Kurtisane. Es geht auch unter die Haut, wenn Simon Keenlyside die Sorgenarie des Vaters Di provenza il mar, il suol…vorträgt, Inbegriff elterlicher Güte. Günter Krämer ist einer der besten Opernregisseure unserer Zeit, wie er in München zuletzt wieder in seiner Inszenierung von Gottfried von Einems Oper Dantons Tod am Gärtnerplatz unter Beweis gestellt hat. In der Traviata hält er sich vollkommen zurück. Seine postmoderne Fassung mit fragmentiertem Bühnenbild – die Gartenstühle müssen ein unwiderstehliches Sonderangebot bei Ikea gewesen sein – überlässt es voll und ganz dem Zuschauer, tiefenpsychologische und mythische Hintergründe des Werkes auszuloten.
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