Ungetrübtes Vergnügen bei Staatsintendant Josef Ernst Köpplingers Inszenierung von Strauss‘ Spätwerk. Bunter Abend im Zeichen des Wiener Walzers. Auch eine kleine Katastrophe im Bühnenraum machte die Premiere zum Ereignis. Der Herzog von Bayern, Kommissar Leitmayr und viele andere Prominente wohnten dem unvergesslichen Abend bei. Von Stephan Reimertz.
Wiener Walzer und Waldmeisterbowle
»Die Majestät wird anerkannt, anerkannt rings im Land…«; so lautet bekanntlich das kollektive Loblied auf den Champagner in der Fledermaus. 21 Jahre und elf Operetten später ist Johann Strauss bei einem Getränk ganz anderer Art angekommen, das nicht weniger fidel stimmt und zudem gerade ganz vorzüglich in die Jahreszeit passt: der Maibowle nämlich; nach dem wohlriechenden Labkraut, mit dem sie versetzt ist, auch Waldmeisterbowle genannt. Das Partygetränk dient als Stimmungskanone und dramaturgischer Brandbeschleuniger. Sie ist sozusagen der Liebestrank – um den Titel eines anderen Werkes der Musikkomödie zu zitieren – dieses schmissigen Abenteuers für die Operettenbühne.
»Trau! Schau! Wem!«
Aber welcherart Musik lernen wir in dieser Operette von 1895 überhaupt kennen? Immerhin befinden wir uns hier bereits in den Jahren, da die jüngere Generation, das Jung-Wien von Herrmann Bahr, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Arnold Schönberg, ihre ersten Werke in die Welt schickte. Gerade Nichtigkeit des Sujets und Banalität des Librettos enthüllen die schlafwandlerische Souveränität eines Komponisten, der längst sich selbst gefunden und seine unverwechselbare musikalische Welt geschaffen hat. Das leicht überschwappende, dann aber doch zurückfließende musikalische Motiv des vielgespielten Walzers, der hier als dramaturgische Klammer funktioniert und kurze Zeit darauf als »Trau! Schau! Wem!« veröffentlicht wurde, kann als Signum der zuendegehenden Ära Kaiser Franz-Josephs ebenso gelten wie dieses besonderen Abends. Es ist ein Tanz der hüpfenden Herzen, und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Kapellmeister Michael Brandstätter ist voll in seinem Element; auch noch, als das Orchester bei der Premiere nach einer kleinen Bühnenkatastrophe reduziert werden musste. Reduzierte Orchesterfassungen ist man am Gärtnerplatz gewöhnt, sie werden gelegentlich zu künstlerischen Zwecken eingesetzt.
Regen auf der Bühne, Glanz im Spiel
Den Walzer kennen Sie alle. Sie haben ihn sicher schon getanzt. Damit diese Musik klingt, muss sich ein bestimmtes Publikum in einem bestimmten Raum zusammenfinden, und genau das ist bei den traditionell prominent besuchten und zugleich populären Premieren am Gärtnerplatz der Fall. Fidel ist auch das Geschehen auf der Bühne: Unter der Leitung der Sängerin Pauline, glorios dargestellt und gesungen von Sophia Keiler, flieht eine Gruppe von Ausflüglern den Regen. Dass dies nicht der einzige Bühnenregen des Abends bleiben sollte, ahnt in diesem Moment noch niemand im ganzen Staatstheater. Man findet sich in einem Lokal namens Waldmühle zusammen. Schon jetzt darf man die attraktiven Kostüme, das raffinierte Bühnenbild und die angemessene No-bullshit-Regie loben. Uta Meenen erfreut das Auge durch bunte, vorwiegend blaue, von der Tracht abgeleitete Kostüme, deren Farbreduktion eine Art Abstraktion darstellen. Da sie leuchtende Farben bevorzugt, wird die Präsenz der Handlung verstärkt. Während die Kleider in den fünfziger Jahren zu verorten sind, katapultiert uns das leicht gegenläufige Bühnenbild von Walter Vogelweider wiederum in die 1960er Jahre, die man auch in einem Photoapparat wiedererkennt, den einer der Protagonisten stets mit sich führt. Staatsintendant Joseph Ernst Köpplinger wiederum ist für seinen Mut und seine Souveränität zu loben, uns diese musikalische Komödie, wenn man so will: im Maßstab 1 : 1 zu präsentieren. Er lässt nur jene Ironisierung, jenes Chargieren zu, die das Werk selbst nahelegt. Im Gegensatz zu manchen Regiekollegen verzichtet er auf eine gegenläufige Sekundärfunktion. Seine Operette über die Waldmeisterpflanze und ihre euphorisierende Wirkung ist eben kein Lehrstück über die jüngsten bundespolitischen Diskussionen zur Graszulassung oder –nichtzulassung. Längst hat auch der letzte Abonnent bemerkt, dass viele Theater- und Opernregisseure dem Stück nur deshalb etwas Fremdes aufpfropfen, weil sie’s nicht anders können. Die Oberlehrer vom Geschichts-Leistungskurs haben alle einen kleinen Guido Knopp im Ohr und wollen mit dem Publikum die Lektionen nachholen, die es nach ihrer Meinung versäumt hat.


Operette ohne Belehrung
Nicht so im Gärtnerplatztheater des Joseph Ernst Köpplinger. Hier bekommt man das Stück so, wie es wirklich gehört. Das schafft Raum für viel Witz und psychologische Tiefe. Die neue Waldmeister-Inszenierung fordert den Vergleich mit Barrie Koskys Fledermaus an der Staatsoper geradezu heraus. Der Unterschied ist ganz einfach: Köpplinger ist aus Österreich und weiß, dass der durchschnittliche Theaterbesucher bei uns bereits im Alter von zehn Jahren dreitausend Guido-Knopp-Filme über Hitlers Frauen, Männer, Projekte, Erfolge und Misserfolge gesehen hat. Er kann sich also auf die Operette konzentrieren, statt via Operetteninszenierung das vierhunderttausendste Statement zum Nationalsozialismus abzugeben. Anders als Kosky, Marthaler und Warlikowski hegt Köpplinger auch keinerlei ödipalen Groll gegen das Publikum. Infolgedessen will er es weder belehren noch ärgern, sondern lediglich unterhalten, allein dies auf hohem Niveau.
Wien in der Gestalt seiner Walzer: wie unendlich weit ist diese Welt und wie zugleich so lebendig nah! Man spürt es, es geht im Tanz durch den eigenen Körper hindurch, wie Österreich nach dem Ende des Hl. Römischen Reiches eine neue Welt erschaffen hat. Der Vielvölkerstaat, wie ihn die Habsburger in zukunftsträchtiger nachgerade künstlerischer Gestalt für einen Moment lang verwirklichten, hat sich uns allen tief ins Bewusstsein geprägt Diese Vorstellung klingt sofort in uns wider, wenn wir Gestalten der Wiener Vorstadtbühne erleben, Töne der Straussens, von Lehár oder Robert Stolz vernehmen.
Zwischen Nostalgie und Leichtigkeit
Mit Erfahrung und Professionalität hat das Gärtnerplatztheater, diese klassische Münchner Vorstadtbühne, jene Welt der Leichtigkeit, aber auch der Kulturmilde und Anmut, nun in seiner jüngsten Strauss-Premiere wieder auferstehen lassen. Nachdem Robert Meyer uns stimmgewaltig und witzig als Amtshauptmann Christof Heffele in Bann schlug, Regina Schörg mit ihrer wunderbaren Stimme als seine Frau Malvine begeisterte und amüsierte, Daniel Prohaska als Botanikprofessor Daniel Friedrich Müller – der Name Müller spielt in dieser Komödie die Rolle eines Running Gag – uns an unsere akademisch-gravitätischen Hochschullehrer erinnerte, Matteo Ivan Rašić uns als Forstelve Botho Wendt mit seiner geheimnisvollen polaroidartigen Kamera faszinierte, und viele andere Sänger-Darsteller sich als voll und ganz in ihrem komödiantischen Element zeigten, regnete es am Premierenabend plötzlich auf die Bühne. Wir überlegen, ob das zum Stück gehört. Schließlich sind die Figuren in der ersten Szene vor einem Regenguss geflohen. Einer der Darsteller ruft: Schon wieder Regen!
Feueralarm, Applaus, Improvisation – und ein Sieg Da senkt sich der Eiserne Vorhang. Intendant Köpplinger kommt heraus und gesteht, dies sei einer der schwersten Momente seines Berufslebens. Eine Sängerin hat beim Umziehen versehentlich den Feueralarm ausgelöst. Die Feuerwehr rückt an und wird vom Publikum mit Applaus und großem Hallo begrüßt. Schließlich die Sängerin beklatscht, der das Unglück widerfuhr, und die sich dabei an der Hand verletzte. Doch wird die Vorstellung weitergehen? Wir werden für eine Viertelstunde auf ein Freigetränk hinausgeschickt. Dem Frohsinn tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Die sowieso schon gehoben-familiäre Stimmung des Premierenabends gewinnt eher noch. In familiärer Atmosphäre wird zu Ende gespielt. Durch die Professionalität und das Improvisationstalent aller Beteiligten wurde der Zwischenfall in einen Sieg verwandelt, der stark zur Publikumsbindung des Gärtnerplatztheaters beitragen dürfte. Ein unvergesslicher Abend!
Noch bis Ende Juli im Gärtnerplatztheater.
Gärtnerplatz 3
80469 München
Strauss‘ ‘Waldmeister’: operetta splendour in Munich
At Munich’s Gärtnerplatztheater, artistic director Josef Ernst Köpplinger revives Johann Strauss’ rarely performed operetta Waldmeister with charm and elegance. The 1895 piece comes alive with lively waltzes and a whimsical plot, set in a rustic tavern where romance, rain, and a touch of Maibowle ignite the scene.
Sophia Keiler shines as Pauline, supported by a cast full of comic precision. Walter Vogelweider’s stage design blends tradition with 1960s flair, perfectly framing the musical world.
A real-life surprise adds to the evening’s magic: a false fire alarm interrupts the show. But thanks to the performers’ quick improvisation and audience goodwill, the incident turns into a triumph.Köpplinger’s direction is light yet intelligent, honoring operetta’s playful roots without overinterpretation. A heartfelt celebration of theatrical joy and resilience.