Rezension von Barbara Hoppe
Es ist still. Diese Art von Sommertag, an dem höchstens das Brummen einer Biene träge durch die Hitze schwirrt. In der Ruhe fließt die Zeit dahin, der Mensch ist mit sich im Reinen und im Einklang mit der Welt, die ihn umgibt. Vielleicht macht sich ein bisschen Melancholie breit. Aber nicht genug, um traurig zu werden, sondern nur so viel, um sich seiner Endlichkeit bewusst zu sein und zu wissen, dass dies gut ist.
Es sind solche Tage, die J.L. Carr meisterhaft zeichnet. „Ein Monat auf dem Land“ verbringt Tom Birkin, Restaurator aus London. Im August 1920 steigt er aus dem Zug in Oxgodby, um ein Wandgemälde in der örtlichen Kirche freizulegen. Tom hat im Ersten Weltkrieg gekämpft. Seitdem zuckt sein Gesicht und seine Frau ist ihm davongelaufen. In seinem großen Mantel kommt er also an, richtet sich in der Glockenturmkammer ein und beginnt seine Arbeit. Eine ruhige Tätigkeit. Die Menschen im Dorf nehmen ihn freundlich auf: Die Familie des Schaffners, die ihn regelmäßig besucht, einlädt und mit Essen versorgt, Charles Moon, der ein Grab finden soll, die Frau des Pastors. In den harmlos-scheuen, doch warmherzigen Gesprächen mit dieser jungen, zurückhaltenden Schönheit, liegt das wahre Wunder des Monats auf dem Land. Das kriegs- und liebesgebeutelte Herz von Tom beginnt, wieder Freude, Zuneigung und Zufriedenheit zu empfinden.
Wie ein Gemälde breiten sich die Tage, der scheinbar ewige Hochsommer und die kaum wahrnehmbare Wandlung in Toms Inneren vor dem Leser aus. Die Geräusche des Sommers und die Schwere der Gedanken münden in leichtfüßiger Melancholie. Getragen von schlichter, klarer Sprache treibt der Leser auf dem Gleichklang des Geschehens. Bis sich der tiefe Sommer dem Ende neigt, der erste Tau am Morgen auf den Grashalmen glänzt und vielleicht nur noch das Brummen einer Biene träge durch die immer noch warmen Stunden schwirrt.
„Ein Monat auf dem Land“ ist ein wunderbarer Roman. Ein Roman über das Glück in uns. Und ein Roman über die eine Erinnerung, die wir auf immer im Herzen bewahren.
J.L. Carr, geboren 1912 in der Grafschaft Yorkshire, arbeitete zunächst jahrelang als Lehrer, bevor er 1966 einen eigenen Verlag gründete. Carr schrieb insgesamt acht Romane, von denen „Ein Monat auf dem Land“ sein bekanntester ist und für den er 1980 für den Booker-Preis nominiert wurde. Erstmals erscheint er nun auf Deutsch. J.L. Carr starb 81-jährig 1994 an Leukämie.
J.L. Carr
Ein Monat auf dem Land
DuMont Verlag, Köln 2016
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