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Ambrogio Maestri rettet Puccini-Aufführung in München

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„Zum Mond und zurück“. Eine Science-Fiction-Oper für Menschen jeden Alters von Andrew Norman.

Der grandiose Bariton aus Pavia sprang zu Ostern für den erkrankten Wolfgang Koch als Michele in Il Tabarro und als Gianni Schicchi ein und gewährleistete eine gelungene Aufführung von Puccinis Meisterwerk Il Trittico. Von Stephan Reimertz.

Von dieser Stelle aus wünschen wir vor allem Wolfgang Koch gute Besserung! Ambrogio Maestri, in letzter Minute herbeigerufen, landete am Ostersamstag um 15 Uhr in München und stand drei Stunden später als Michele in Puccinis genialischem Einakter Il Tabarro auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper. Dieser Ur-Falstaff beherrschte vom ersten Augenblick an auch von seiner Erscheinung her und agogisch die Szene. Sein offenbar zu jedem Ausdruck fähiger Bariton nötigt uns ebenso Mitleid mit dem betrogenen Ehemann Michele ab, wie er uns Furcht vor dessen Rache einflößt. Das proletarische Milieu am Ufer der Seine versetzt uns seinerseits in den Umkreis des zweiten Akts der Bohème, dann aber auch in Michelangelo Antonionis Doku Gente del Po und die neorealistischen Schauergeschichten der unmittelbaren Nachkriegszeit. In der blumigen und z. T. prunkenden Sprache des Libretto zeigt sich wiederum die Allgegenwart Gabriele d’Annunzios, zugleich weist die Prägnanz der Handlung Il Tabarro als exemplarisches Meisterwerk italienischer Novellenkunst aus, die vom Mittelalter bis in die Gegenwart reicht.

Il Trittico 2024 | Yonghoon Lee, Lise Davidsen | Musikalische Leitung: Robert Jindra
© Wilfried Hösl

Durchgängige Symbol- und Motivarbeit

Puccini und seinen Librettisten gelang mit ihrem Trittico die dramaturgische und motivische Verbindung von drei gänzlich verschiedenen Epochen und Milieus. Das Thema des Todes beherrscht die beiden Tragödien Il Tabarro und Suor Angelica ebenso wie die anschließende Farce Gianni Schicchi. In zwei der drei Kurzopern geht es um Erbschaften und um die aus dem bürgerlichen Leben nur allzu bekannte Tatsache, dass derjenige, dem das Erbe zusteht, es selten erhält. Und in den ersten beiden Stücken wiederum spielen jeweils ungewollte Schwangerschaften eine entscheidende Rolle. Die längste Röhre, die man seit Götz Friederichs U-Bahn-Schacht in seinem Berliner Ring des Nibelungen sehen konnte, und die hier als durchgängiges Bühnenbild dient, darf also auch als Nirwana in Utero verstanden werden, selbst wenn nicht sicher ist, ob Regisseurin Lotte de Beer und Bühnenbildner Bernhard Hammer so weit gedacht haben.

Die Grandezza von Ambrogio Maestri

Lise Davidsen begeisterte als Giorgietta mit dem eindringlichen Sopran der außerehelich Verliebten das für Münchner Verhältnisse leicht überdurchschnittlich elegante Publikum des Osterabends. Elsa Dreisig als Lauretta wiederum fiel die dankbare Aufgabe zu, mit O mio babbino caro die einzige Schwelgarie des ganzen Werkes vorzutragen, und sie entledigte sich der angenehmen Pflicht mit der ganzen Brillanz und Schönheit, welche Puccini-Anhänger bei diesem allseits bekannten Stück erwarten. Doch es war vor allem der Abend von Ambrogio Maestri. Nachdem der Bariton das Publikum in Il Tabarro als tragischer, existentieller Held gepackt hatte, kehrte er als gewiefter und durchtriebener Bauer Gianni Schicchi wieder, der einem bourgeoisen Clan das Erbe abjagt und begeisterte die Münchner diesmal mit der Durchschlagskraft seiner komödiantischen Präsenz und Wandlungsfähigkeit. Nebenbei beweist die aus der Divina Commedia entnommene Episode übrigens, dass aus Dante Alighieri auch ein geschickter Novellendichter wie sein Kollege Giovanni Boccaccio hätte werden können.

Überzeugendes modernes Regietheater

So sehr an dieser Stelle immer wieder wohlbegründet gegen das sogenannte Regietheater argumentiert wird, so sehr müssen wir heute die kongeniale Inszenierung von Lotte de Beer preisen. Alle drei Einakter des Operntriptychons verlegt sie in ihren Metalltrichter und findet immer wieder neue und überzeugende dramaturgische Lösungen. Besonders gelungen ist der direkte Überblendung von Il Tabarro in Suor Angelica; der gewaltsame Tod des Löscharbeiters Luigi geht direkt in ein Leichenbegängnis über, welches sich im Nachhinein als Beerdigung von Schwester Angelicas Sohn erweist.

Il Trittico 2024 | Musikalische Leitung: Robert Jindra © Wilfried Hösl

Puccinis Meisterwerk

Robert Jindra ist, wenn man so will, ein pädagogischer Dirigent. Er gönnt uns zwar den vollen Genuss von Puccinis klanglichem Zauber, möchte den Hörer aber auch zum Mitdenken anhalten und breitet alle Details äußerst sorgsam und bedachtsam vor uns aus. Das Bayerische Staatsorchester vermag dem Prager Musikchef dabei mühelos zu folgen, und so dürfen wir dieses Münchner Orchester aufs neue als einen der besten italienischen Klangkörper bezeichnen, auch eingedenk diverser Puccini- und Rossini-Aufführungen der letzten Zeit. So bekommt man sogar die subtilen musikgeschichtlichen Anspielungen mit, die der Maestro Puccini in seine Partitur eingewoben hat, etwa die Erwähnung der Mimi aus La Bohème im Tabarro und kurz darauf die Vergegenwärtigung der Hetze und Angst im ersten Akt der Walküre, wo es ja ebenfalls um einen aggressiven betrogenen Ehemann geht. Puccini greift Wagners stoßartigen Rhythmus in den tiefen Streichern – Celli und Kontrabass – auf. In den intimsten Momenten von Schwester Angelicas Selbstgespräch wiederum spielt Puccini auf den inneren Dialog Palestrinas aus der zwei Jahre zuvor veröffentlichten gleichnamigen Oper von Hans Pfitzner an. Das schmerzlich-lichte musikalische Gewebe steht jeweils in der Mitte der Oper und symbolisiert die Selbstverständigung und plötzliche Erkenntnis des Protagonisten. In seinem 1918 uraufgeführten musikdramatischen Meisterwerk wagt es der Maestro Puccini, dem Publikum die von ihm erwarteten kathartischen Arien weitgehend vorzuenthalten und es stattdessen mit anspruchsvollen und höchst differenzierten musikalischen Strukturen zu konfrontieren. Die Münchner Osteraufführung wurde dem hohen musikalischen Anspruch der Partitur ebenso wie der dramatischen Prägnanz dieses unvergleichlichen Meisterwerks gerecht.

weitere Aufführungen: hier

Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München

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Ambrogio Maestri saves Puccini performance in Munich
Ambrogio Maestri, an outstanding baritone from Pavia, stepped in for the ailing Wolfgang Koch over the Easter holidays and excelled as Michele in Il Tabarro and as Gianni Schicchi, ensuring a successful performance of Puccini’s masterpiece Il Trittico.

Maestri’s magnificent performance, summoned at the last minute, impressed the audience at the Bavarian State Opera. His expressive baritone lent depth and intensity to the character of Michele, while simultaneously captivating as Gianni Schicchi with comedic presence and versatility.

Lotte de Beer’s staging of the operatic triptych proved to be convincing modern regietheater. She skillfully connected the three different epochs and milieus of the short operas and found new dramaturgical solutions, such as the direct blending of Il Tabarro into Suor Angelica.

Under the direction of Robert Jindra, the Bavarian State Orchestra delivered a masterful interpretation of Puccini’s score. The performance met the high musical standards and dramatic poignancy of the work by adeptly implementing subtle musical references and nuanced structures.

Overall, the Munich performance of Il Trittico was an impressive experience that effectively showcased the timeless greatness of Puccini’s masterpiece.

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