L’elisir d’amore (Der Liebestrank) ist ein chef–d’œuvre des norditalienischen Opernkomponisten Geatano Donizetti. Was hat uns das melodramma giocoso aus dem Jahre 1832 heute noch zu sagen? Ziemlich viel, findet der Münchner Opernbesucher Stephan Reimertz – wenn eine sängerisch und darstellerisch so starke Protagonistin wie die Südafrikanerin Pretty Yende auf der Bühne steht.
Die Gänge und Hallen der Bayerischen Staatsoper zu München wirken vor der Vorstellung in diesen Tagen ungewohnt spärlich bevölkert. Dafür kommt einem die kleine Gruppe von Opernbesucher, die noch eingelassen wird, wie eine verschworene Gemeinschaft vor. Keine Frage, wer jetzt noch erscheint, der will das wirklich. Zu unbequem ist es, wie im Venezianischen Karneval immer mit Maske herumzulaufen und diese auch während der Vorstellung – zumindest theoretisch – aufzubehalten. Die größte Herausforderung für Sänger, Dirigenten, Musikanten und Zuhörer freilich stellt das aus dem Graben herausgehobene Orchester dar. Für solche Raumaufteilungen sind musikalische Werke nicht geschrieben. Umso höher kann man es dem sizilianischen Kapellmeister Francesco Angelico anrechnen, wenn er nicht allein eine glänzende Figur macht, sondern auch das Orchester soweit zurücknimmt, wie die Sänger mit ihren Stimmen durchdringen können, ohne je das Feuer in dieser großen Partitur einzudämmen. Dem Preisträger des Nikolai-Malko-Wettbewerbs, seit der Spielzeit 2017/18 Generalmusikdirektor des Hessischen Staatstheaters Kassel, gelingt das Zauberkunststück, einem altehrwürdigen Werk der Operngeschichte, welches man als sehr zeitbedingt empfinden darf, neuen Glanz zu verleihen, soweit das bei Donizettis L’elisir d’amore überhaupt möglich ist.
Pretty Yende als die schöne Gutsbesitzerin Adina
Der Komponist aus Bergamo und sein Librettist Felice Romani bringen in ihrer Opern-Idee ein anakreontisches Dorf ganz schön durcheinander. Nemorino (Yale-Absolvent Galeano Salas mit einfühlsamer, wunderbarer Intonation) war bisher ziemlich schüchtern. Milan Siljanov, Absolvent der Zürcher Hochschule der Künste, ein starker, charaktervoller Bassbuffo, dreht ihm als Quacksalber Dr. Dulcamara ein angebliches Wundermittel an. Dabei handelt es sich lediglich um Bordeaux. (Wer freilich in seinem Leben schon einmal einen 82er Haut-Brion oder einen 86er Trotanoy getrunken hat, weiß, Bordeaux ist das beste Lebenselixier.) Unser Nemorino mutiert zum Draufgänger und reüssiert bei der launischen und reichen Gutsbesitzerin Adina. Diese wird in München von der hinreißenden südafrikanischen Sänger-Darstellerin Pretty Yende gegeben, deren Vitalität sowie stimmliche Durchschlagskraft und Schönheit den Abend zu einem Erlebnis machen, auch wenn die Sopranistin in der vollkommen einfallslosen Inszenierung von 2009 nicht zeigen kann, was alles in ihr steckt. Wenn auch keinen Bordeaux, so bekommt auch der Besucher inzwischen wieder kleine Getränke im Foyer, und auch eine Pause gibt es. Angesichts großartiger Kräfte wie Pretty Yende, Gelaeno Salas und Kapellmeister Angelico, aber auch Andrei Zhilikhovsky als Belcore, Milan Siljanov als Doktor und Sarah Gilford als Giannetta kann man nur hoffen, das Münchner Opernleben möge sich so bald wie möglich wieder normalisieren.
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