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Ernst Křenek spielt auf

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oper-beitragsbildWas sollte man sich derzeit in München unbedingt ansehen? Stephan Reimertz empfiehlt »Jonny spielt auf« von Ernst Křenek am Gärtnerplatztheater. Unser berüchtigter Kunstmäkler hat kaum etwas zu mäkeln an dieser sentimental-komödiantisch-expressionistischen Kunstrevue von 1927. Kleiner Geschichtsunterricht inbegriffen.

Neulich in Cremona im Geigenmuseum: Eine junge Geigerin betritt den klangvollsten Kammermusiksaal der Welt, gefolgt von zwei Wächtern, einer mit Geigenkasten, der andere mit Maschinenpistole. Nicht der Violinistin gilt die Vorsichtsmaßnahme, sondern der Violine, die sie dem Geigenkasten entnimmt, eine Stradivari von 1727. Man sollte halt auf sein Instrument aufpassen. Das erfährt auch der Geiger Daniello, dessen aasige Eitelkeit Mathias Hausmann gekonnt in Szene setzt, in Ernst Křeneks frühem Meisterwerk Jonny spielt auf, das derzeit mit großem und berechtigtem Erfolg am Gärtnerplatz in München läuft. Bei Daniellos Instrument handelt es sich um eine Amati, wie das Libretto verrät, also ebenfalls eine Geige aus Cremona. Ihr freilich fehlt der Leibwächter, und so kommt sie dem gefeierten Virtuosen, während er in Paris eine Nacht mit der Sängerin Anita verbringt, abhanden. Der Geigenkasten wird zum Kummerkasten: Er ist leer!

Ein Dauerbrenner fürs Repertoire?

Ernst Křenek, das ist ein ganz Großer gewesen, und sein Name sollte für das erste Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts neben jenen von Richard Strauss, Giacomo Puccini und Franz Lehár stehen als einem der Tonfürsten des Theaters. Mit Karl V. hat er uns unsere Reichsoper geschenkt; das faszinierende geschichtlich und philosophisch ebenso wie musikalisch bedeutende Werk konnten wir in München vor drei Jahren in der Staatsoper in einer spektakulären, maßstabsetzenden Inszenierung von Juan Carlos Olivares Padilla aus Barcelona und seiner Truppe La Fura dels Baus sehen. Umso bemerkenswerter, wenn der Gärtnerplatz sich nun des Geniestreichs des noch nicht Siebenundzwanzigjährigen annimmt und ihr eine nicht minder angemessene Inszenierung widmet. Spielleiter Peter Lund zeigt ein echtes Händchen für diese musikalische Komödie, welche expressionistische Elemente mit Versatzstücken des Chansons und der Revue in eine durchkomponierte Potpourri-Form einschmilzt. Das ist schon sehr gekonnt und unterhaltsam, und man fragt sich, warum sich das Werk nach dem Zweiten Weltkrieg nicht als Dauerbrenner im Repertoire durchgesetzt hat.

Überkonkretion der Topoi

Franz Schreker und der Ferne Klang lassen grüßen in dieser Künstleroper, in der ein Komponist im Mittelpunkt steht, auch Straussens Ariadne und Puccinis Tosca sind nicht fern, letztere in wohl unbewussten pentatonischen Intervallen. Allein Křenek geht noch einen Schritt weiter und versetzt seinen Komponisten Max in die Gletscherwelt wie im kurz zuvor erschienenen Zauberberg, metaphorisch auch auf die Höhen jener Einsamkeit, welche Tonio Kröger einst durchmaß. Alexandros Tsilogiannis gibt einen zerknirschten deutschen Künstler im expressionistischen Dix-Habit, einen reinen Archetyp, wie er in unser aller Unterbewusstsein west. Schade nur, wenn der Topos »Gletscher« hier zum Postkarten-Watzmann konkretisiert wird, als befinde man sich in dem Film Meyer aus Berlin von Ernst Lubitsch; dadurch wird die Kraft der Metapher abgeschwächt. Desgleichen dürfte jeder wissen, was gemeint ist, wenn eine Couch auf der Bühne steht, ohne auch noch eines Photos von Sigmund Freud zu bedürfen. Und zu den Kostümen von Daria Kornysheva ist Otto Dix mehr als nur Pate gestanden, eher kann man den Maler als ihren Erzeuger betrachten. Bei zwei der fünf Polizisten der Weimarer Republik spielt das Kostüm indes eher auf George Grosz an. Die pädagogische Übererfüllung, der Zaunpfahl, das ist die kleine Schwächung dieser ansonsten hinreißenden Inszenierung.

Vitalität und Eleganz

Lebendigkeit, Leichtigkeit, Esprit und echter Humor; all das sind die Stärken von Peter Lunds Inszenierung – man vergleiche sie etwa mit dem verkrampften, bemühten Witzeln gleichzeitig laufender Produktionen wie Hoffmanns Erzählungen am Gärtnerplatz oder L’infideltà delusa am Cuvilliérstheater. 40% der Besucher an unserem Abend waren übrigens Kinder und Jugendliche, was die lebendige Atmosphäre im Saal verstärkte. München wird nämlich leider immer freudloser; die Leute gehen in die Oper, hören sich das stillsitzend an und gehen wieder nach Hause. Dafür ist die Kunstform Oper nicht gedacht! Es stimmt nachdenklich, wenn wir in diesem Stück sehen, wie der Amerikanismus in den Zwanziger Jahren zu einer Hoffnung auf Vitalisierung wurde, während er in unserer Zeit alles Lebendige in politisch-korrekter Friedhofsruhe abtötet. Die Masken vor Mund und Nase, die alle Theaterbesucher coronabedingt auch während der Vorstellung noch tragen müssen, ist eine perfekte Metapher für den Maulkorb unserer Epoche. In Regisseur Peter Lund jedoch hat der aberwitzig genialische Dichter-Komponist Ernst Křenek sein Pendant gefunden. Ja, ein Hauch des zwei Jahre später erschienenen ersten Großstadtkinderbuches Emil und die Detektive geistert durch diese turbulente erotische Kriminalsatire, die mitunter wirkt wie aus der Feder eines Hugo Bettauer. Nicht die Kunst, alles hineinzupacken macht das Genialische dieser Klamotte aus, sondern die Art und Weise wie Kunst, Gesellschaft, Kriminalistik, Sex, Philosophie und Politik sich in Křeneks Stück gegenseitig durchdringen, ohne einander das Wasser abzugraben. Nach seiner Uraufführung in Leipzig im Jahre 1927 ging Jonny übrigens zuerst nach Prag, wo keine zehn Jahre später die Uraufführung von Karl V. stattfinden sollte, dann nach Altenburg und Gera, bevor es zur Aufführung in Berlin-Charlottenburg kam. 1928 fand am Gärtnerplatz die Münchner Erstaufführung mit Alfred Jerger in der Titelrolle statt, die nur mit Polizeiaufgebot vor Angriffen der Nationalsozialisten geschützt werden konnte. Unsere Aufführung ist also eine Rückkehr dieses Werkes an den Gärtnerplatz nach fast einem Jahrhundert. Wenig erstaunlich indes, wenn sich die Präsentation an der MET 1929 eher als Flop erwies; Amerikaner stellen sich unter einer Jazzoper etwas ganz anderes vor…

Die kleine Reichsoper

Das sind wir: Unsere Tanzsucht, unsere Künstlermetaphysik, unser Glaube an die Kraft des Individuums, unsere Neigung, fernste Kulturen miteinander vereinen zu wollen, vor allem unser seltsamer Gegensatz von forciertem Modernismus und tiefinneren konservativen Bedürfnissen – das sind wir Deutschen! Nicht anders als in seiner epochalen Oper Karl V. ist dem Denker-Komponisten Ernst Křenek auch hier eine frappante Coincidentia oppositorum gelungen, in der er den paradoxen Charakter des Reiches auf den Punkt bringt. So sind seine beiden Hauptwerke Jonny und Karl durchaus aufeinander bezogen; in beiden Opern ist der Musikant sein eigener Librettist und legt einen Operntext vor, der in seiner beziehungsreichen Prägnanz weit über dem Gewohnten steht. In Jonny spielt auf haben wir es mit völlig verschiedenen Künstlertypen zu tun, die jeweils ihre eigene Lebensphilosophie vertreten: Maria Celeng gibt die Anita als femme fatale aus dem Bilderbuch, gelegentlich naiv, aber wenn’s drauf ankommt, mit durchdringender Stimme, also Ichstärke. Judith Spießer als Yvonne ist das Kunstgroopie, allzu bekannter Archetyp auch unserer Zeit noch, von dem es immer hundert Mal mehr als echte Künstlerinnen gibt. Titelheld Jonny ist ein Afroamerikaner aus Alabama, USA. In seiner Figur, von Ludwig Mittelhammer zugleich vital, stimmgewaltig und kultiviert verkörpert, kann der heutige Betrachter staunend ablesen, welche Hoffnungen die Menschen der Zwanziger Jahre auf eine gegenseitige Durchdringung von Europa und Amerika setzten. Wenn Jonny auf der Amati-Geige spielt, ist das mehr als nur psychoanalytische oder ichphilosophische Anspielung, es ist ein kulturelles Hoffnungsbild: »Es kommt die Neue Welt übers Meer gefahren mit Glanz und erbt das alte Europa durch den Tanz!« Ein vom Amerikanismus vollständig verwüstetes Europa konnte man sich damals noch nicht vorstellen.

Alle Aufführungen bis Ende Mai hier

Staatstheater am Gärtnerplatz
Gärtnerplatz 3
80469 München

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