Marie-Eve Signeyrole hat in ihrer Jugend zuviel ferngesehen anstatt sich mit ernsthaften Dingen zu beschäftigen. Dieser Eindruck jedenfalls drängt sich auf angesichts ihrer peinlichen Fehlinszenierung von Joseph Haydns Oper L’infedeltà delusa am Münchner Cuvilliérstheater. So wird der Titel des Stückes (»Die bestrafte Untreue«) zur self-fulfilling prophecy. Musikalisch ist die komische Oper trotz allem ein Hochgenuss. Von Stephan Reimertz.
Die Regisseurin Marie-Eve Signeyrole und ihr Produktionsteam stricken die Geschichte von einem Mädel, das gegen den Willen ihres Vaters einen armen Mann heiraten will, um zur Story von einer, die eine Frau liebt. Vor dreißig Jahren wäre die Idee witzig gewesen. Heute sieht es verdammt nach politischen Opportunismus aus. Die toskanische Landschaft des 18. Jahrhunderts wird in Signeyroles Inszenierung ein Mädchenpensionat der 1950er Jahre. Auch dafür gibt es keine zwingenden dramaturgischen Gründe. Schade um die schöne Oper! Dabei haben wir es bei dieser »burletta per musica« (Haydns Gattungsbezeichnungen sind stets originell und genau) mit einer erfrischenden und durchaus revolutionären Musik zu tun. Ein Jahr vor den Leiden des jungen Werthers entstanden, stellt L’infedeltà delusa den Beginn eines stärker subjektbezogenen, emphatischen Ausdrucks dar und bricht mit dem voraufgegangenen Objektivismus und Klassizismus der Aufklärung.
Kapellmeisterin Giedrė Šlekytė und das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper erfüllt den schönsten Theaterraum Münchens, das Cuvilliérstheater, mit einem frischen enthusiastischen Klang mutwilliger Jugendlichkeit, ohne die emotionalen Nuancen zu überspielen. Das junge Ensemble findet sich überraschend gut in die unmögliche Dramaturgie: Jessica Niles als Sandrina zeigt eine phantastische Spannweite von charakterlicher Stärke und zwitschernden Koloraturen. Emily Sierra als Nanni spielt und singt diese Rolle, die gegen den Strich gebürstet ist (Mann zu Frau) mit expressiver Verve. Joel Williams als Nencio zeigt einen biegsamen, musikdramatisch idealen Tenor. Jasmin Delfs gestaltet als begnadeten Sänger-Darstellerin die Vespina. Marie-Eve Signeyrole mit ihrer Mädchen-in-Uniform-Dramaturgie erweist sich als eine Frau, die in ihrer Jugend zuviel ferngesehen hat und nun nicht mehr vom Bildschirm loskommt. So wird das Mädcheninternat ständig von einer großen Leinwand darüber und einer zweiten Handlungsebene ergänzt. Das überzeugt niemanden und zerstört das Bild dieser wichtigen Oper von Joseph Haydn. Man kann keine Oper von Haydn oder Mozart inszenieren, wenn einem jedes Gefühl für den Charme des Ancien Régime abgeht. Aufklärerisches Theater löckt stets wider den Stachel; diese Inszenierung tut das Gegenteil, indem sie ins Boot springt der Ideologisierung von Homosexualität. Lesbische Liebe, die zarteste Pflanze menschlicher Erotik, wird hier zu einem autoritären Knüppel, der einem ständig drübergezogen wird.
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