L’incoronazione di Poppea, Claudio Monteverdis epochales »Drama in musica«, offenbart, in welche Richtung sich die Oper entwickeln sollte. William Christie zeigt, was aufgeklärte Aufführungspraxis zu leisten vermag. Jan Lauwers inszeniert das Stück als Ballettoper, wobei man das Wort »Ballett« in Anführungsstriche setzen kann. Von Stephan Reimertz.
Hätten Sie sich im siebzehnten Jahrhundert wohler gefühlt als heute? Das höfische Leben stand in reifer Blüte. Der Stil des Adels bestimmte Kunst und Gesellschaft. Der aristokratisch-höfisch-rituell-tänzerische Charakter von Claudio Monteverdis Musik, seinen drei Opern vor allem, kündet davon. Seine dritte Oper, L’incoronazione di Poppea, in deutlichem zeitlichen Abstand zu den anderen beiden uraufgeführt, nämlich im Karneval 1642/1643, trägt die Bezeichnung Drama in musica und enthält im Gegensatz zu den rein tragisch-höfischen Vorgängerinnen bereits ein komödiantisches Element. Hier konnte man ablesen, in welche Richtung die Oper sich in den folgenden Jahrhunderten entwickeln würde. Die neue Aufführung mit dem Ensemble Les Arts Florissants, die jetzt in Salzburg bei den Festspielen herauskam, tut dar, wie sehr dieses seit den sechziger und siebziger Jahren wieder stark rezipierte und aufgeführte Werk von musikhistorischer Vorarbeit profitiert.
Sensibilität und Delikatesse von Les Arts Florissants
Wer eine Oper von Monteverdi aufführen will, kann sich seine Partitur selbst schreiben, da der Komponist allein Singstimmen und Angaben zur Orchesterbegleitung hinterließ. Les Arts Florissants entschieden sich dafür, das Orchester in zwei Gruppen à acht Musiker zu teilen, die von einem Steg getrennt spielen, wobei den Lauten eine sowohl optische als auch musikalische Schlüsselrolle zukommt und jeder der beiden Gruppen über ein Cembalo verfügt. Die Erfahrung und Delikatesse des musikalischen Vortrags dieses aus lauter Solisten bestehenden Ensembles beschert uns einen zugleich sehnigen und runden Klang, der das epochale Werk in seinen Feinstrukturen offenlegt. William Christie dirigiert vom Cembalo aus.
Liebesgeschichte = Weltgeschichte
Es ist Großes Welttheater, welches uns Claudio Monteverdi und sein Librettist Giovanni Francesco Busenello hier präsentieren. Kaiser Nero will seine Gattin Ottavia loswerden, seine Geliebte Poppea heiraten und zur Kaiserin machen. Dieser wiederum stehen ihr Geliebter Ottone und der Philosoph Seneca im Wege, der auf Einhaltung der guten Sitten drängt und den Kaiser zu beeinflussen droht. Bis das hohe Paar sich finden kann, kommt es zu einigen Intrigen und politischen Morden im weiten Kompendium der damaligen musikalischen Möglichkeiten. Dramaturgischer und geistiger Höhepunkt des Dramas ist der Abschied Senecas, der in seinem stoischen Lebewohl von der Welt noch einmal den Wert der Tugenden preist und den Tod als Freund begrüßt. Die Musik lässt keinen Zweifel daran, wie sehr wir uns den großen Stoiker zum Vorbild nehmen sollten.
Die gekränkte Kaiserin
In Salzburg wurde das musikgeschichtlich ehrwürdige Stück genüsslich und virtuos zelebriert. Sonya Yontscheva in der Titelrolle entsprach am ehesten einer Operndiva klassischen Typs und stellte in Erscheinung und mit ihrer großen, reinen und klangvollen Stimme eine Idealbesetzung der zielstrebigen Aufsteigerin dar. Carlo Vistoli füllte die dramaturgisch und musikalisch entscheidende Rolle des lästig gewordenen Liebhabers Ottone mit schauspielerisch und stimmlich vielseitiger Begabung in besonders interessanter Weise aus. Man hat sich dafür entschieden, den Kaiser nicht wie in vielen anderen Aufführungen, mit einem Countertenor, sondern mit einer Frau zu besetzen. Kate Lindsey gab einen machtbewussten modernen Nero im enganliegenden goldenen Anzug mit Stirnband. Die Art von modernem Machtmanagement, das sie vorführt, wirft freilich eine Frage auf: Sollten heutige Schauspieler und Sänger, ob in der Oper, im Schauspiel oder beim Film, immer weniger in der Lage sein, Personen hohen Geblüts zu verkörpern und gerade darum auf zeitgenössische Ironisierungen zurückgreifen?
Drehschwindel als Opernballett
Mit Dominique Visse als Amme Arnalta wiederum steht ein Mann in einer Frauenrolle auf der Bühne. Der komödiantische hochbegabte Countertenor ist das Stimmungszentrum der Buffo-Ebene. Mit weißer Haube und Bubikragen kann er sich der Begeisterung der Zuschauer sicher sein, vor allem aber mit seiner stimmlichen Variabilität und dem schauspielerischen Einfallsreichtum. Stéphanie d’Oustrac gab eine würdige gekränkte Ottavia, und beim Abschied der in die Verbannung geschickten Kaiserin: Addio Roma! Addio Patria! lief es dem Zuhörer kalt über den Rücken. Ana Quintans mit ihrer glockenreinen Sopranstimme verkörpert die sitzengelassene und bei Bedarf wieder geliebte Freundin des Ottone, Drusilla, und trägt eine weitere charmante Nuance in das Ensemble. Die Kostüme von Lemm&Barkey versuchten jede Figur individuell neu zu erfinden und in zeitloser Modernität auf die Bühne zu stellen.
Gegenseitige Nachahmung der Opernregisseure
Jan Lauwers zeichnete für Regie, Bühne und Choreographie verantwortlich, wobei von der letzteren nur bei der Personenführung der Sänger die Rede sein kann. Was die Tänzer im Hintergrund zu vollführen haben, kann man kaum Choreographie nennen. Sie drehen sich ständig um die eigene Achse, und man wundert sich, wenn weder der Ballettverband noch der Ärzteverband gegen diese zum Drehschwindel führende Monotonie einschreiten. Auch die Zeit der Videoeinspielungen des Geschehens auf der Hinterbühne sollte vorbei sein. Frank Castorf hat dieses Prinzip mehr als ausgereizt. Doch allzu viele Opernregisseure halten sich an das Così-fan-tutti-Prinzip: Alle machen’s, also muss ich’s auch machen!
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