„Les Troyens“ von Berlioz; bezaubernde Musik, wird im Laufe des Werkes immer besser. Allein in München langweilt eine ostentativ woke und schwule Inszenierung. Die Produktion kommt nicht in Schwung. Es zieht sich hin. Und im fünften und letzten Akt, wenn es gegen Mitternacht geht, müssen sich einige Zuschauer fragen, ob sie noch die letzte Tram erwischen. Von Stephan Reimertz
Der eine identifizierte das Kaiserreich mit sich selbst, der andere identifizierte sich mit dem Kaiserreich. Während Richard Wagner am Tristan dichtete und komponierte – von dem der Wagner-Experte Hartmut Zelinsky sagt: »Diese Oper ist das Lasso, mit dem Wagner die Leute für seine kommenden Weltherrschaftsansprüche einfangen wollte« – versuchte Hector Berlioz ein staatstragendes Werk zu stemmen: „Les Troyens“, mit eigenem Libretto nach Vergil, eine Union von lyrischer Oper und Grand Opéra, mit der er sich dem Zweiten Kaiserreich empfahl, seinem Klassizismus, seinem Historismus, seiner Grandiosität. In München steht das Werk nun auf dem Programm der diesjährigen Opernfestspiele, und das Ergebnis der Inszenierung von Christophe Honoré ist dergestalt, dass die Financial Times in ihrer Besprechung fragte: »How could this happen?«
Ein Opernskandal
Der Rezensent der FT nennt die Inszenierung einen »desperately mediocre evening of blood and porn«, und leider haben wir dem nicht viel hinzuzufügen.
Christophe Honoré, aus Frankreich stammend, zeigt mit „Les Troyens“ seine erste Operninszenierung in Deutschland, und ein Musikkenner oder –freund kann nur hoffen, es bleibt auch seine letzte. Der Regisseur erweist sich als grundsätzlich unfähig, ja unwillig, eine Geschichte zu erzählen, und so hängen seine Figuren fünf geschlagene Stunden lang im Stil von Altachtundsechziger-Kopfhängern in dem ebenso nichtssagenden Bühnenbild von Katrin Lea Tag herum. Natürlich bekommt man mit so einem Arrangement das Haus nicht voll, und so klafften leere Reihen im Zuschauerraum – während der Opernfestspiele unerhört und bisher ungesehen. »Five hours is a dreadfully long time to spend watching singers stranded on the stage, occasionally tripping over the set, singing helplessly at the conductor«, schreibt die FT. »Bavarian State Opera has a lavishly funded army of responsible administrators. Why did none of them intervene?« Das Ganze ist ein Skandal aus Unfähigkeit und sollte personelle Konsequenzen nach sich ziehen.
Verzweifelte Sänger
Kapellmeister Daniele Rustioni hat seine liebe Not, mit dem Bayerischen Staatsorchester gegen die Öde auf der Bühne anzumusizieren. Die Sänger kämpfen einen härteren Kampf als die Troyaner selbst. Marie-Nicole Lemieux als Cassandre, die kurzfristig eingesprungene Ekaterina Semenchuk in der großen Rolle des Didon meistern ihren Part eindrucksvoll. Doch es ist vor allem Gregory Kunde als Enée, der es schafft, sich aus dem allgemeinen groben Unfug herauszuheben. Spontane Beifallsrufe bei der Premiere sind voll und ganz berechtigt, und die große Liebesarie im vierten Akt gerät zu einem der wenigen emphatischen Momente des sehr langen Abends. Aber was ist das für ein Musiktheater, in dem Musiker und Sänger gegen die Inszenierung ankämpfen müssen, um dem ganzen etwas künstlerische Qualität abzugewinnen?
Der vierte Akt ist der musikalisch schönste; hier erreicht Berlioz jene zarten Momente, die an die Liebesszene seiner »symphonie dramatique« Roméo et Juliette anklingen. In München gerät dieser Akt zum Skandalon. Dem passionierten Frauenverehrer Berlioz wird eine schwule Dramaturgie übergestülpt; falls man hier von Dramaturgie überhaupt sprechen kann. Ein Kunstfilm, der einen schwulen Porno darstellt, und der wirkt, als habe Jean Genet das Drehbuch zu einem Nivea-Crème-Reklamefilm geschrieben, wird zum Beginn des Aktes eingeblendet. Parallel läuft ein lesbischer Turtelfilm, dezent freilich, denn nackte Frauen würden ja eine Beleidigung des weiblichen Geschlechts darstellen, während nackte Männer voll im emanzipatorischen Trend unserer gleichgeschalteten Gesellschaft liegen. Hier gab es berechtigte Buhrufe, die freilich nicht so zu verstehen waren, als nähmen die Zuschauer an einer schwulen, nackten Szene per se Anstoß. Vielmehr galt der Protest der Tatsache, dass die Zumutung mit dem Verlauf der Oper nichts zu tun hat.
Das Pferd?
Ein Superlativ kann man Regisseur Honoré jedoch nicht absprechen. Seine Inszenierung enthält die dümmste Szene, die ich innerhalb eines halben Jahrhunderts fleißiger Opernbesuche gesehen habe: Statt des douráteos híppos wird lediglich die Leuchtschrift DAS PFERD auf die Bühne gezogen. So ist Honoré selbst das Trojanische Pferd, welches unberechtigterweise in die Mauern der Oper geschoben wurde und von hier aus diese Kunstform von innen zerstört. Der Fall Troyas ist dabei kein Zufall. Erst kürzlich hat eine französischer Regisseurin, Marie-Eve Signeyrole, im Cuvilliérstheater Joseph Haydns wunderbare Oper „L’infedeltà delusa“ vollkommen ruiniert, indem sie das Werk Haydns in ein lesbisches Mädchenpensionat der 1950er Jahre verlegt und eine der beiden männlichen Hauptrollen durch eine Frauenstimme, die Liebesgeschichte von Comtesse und Hirte durch einen Lesboschocker und in ihrem unüberwindlichen Hass auf die Kunstform Oper und ihr Publikum die Produktion mit einem permanent laufenden Videoprofilm überblendet hat. Auf das Pensionat von Marie-Eve Signeyrole folgt nun das Penis-ionat von Christophe Honoré. Auf Dramaturgie, Beziehung zur Kunstform Oper, zur Kunst überhaupt, kommt es nicht mehr an. Die Opernleitung trägt für all das die Verantwortung, und das bayerische Kultusministerium wird hoffentlich wissen, was zu tun ist.
Schade um die schöne Oper!
Schade um das schöne Werk, welches, in den späten fünfziger Jahren geschrieben, in den frühen Sechzigern des neunzehnten Jahrhunderts uraufgeführt wurde. In jener Zeit entstand die Welt, wie wir sie heute kennen. Die Welt: das ist Paris. Der Jardin du Luxembourg in seiner heutigen Gestalt; und Umgebung. Baudelaire schreibt an Victor Hugo: »Andromaque, je pense à vous! Ce petit fleuve, / Pauvre et triste miroir« und nennt »L’immense majesté de vos douleurs de veuve«. Das wäre ein Motto für „Les Troyens“ Die Alexandriner, die sich Héctor Berlioz Ende der 1850er Jahre zusammenreimt, klingen zwar hier und da nach Corneille, sind indes nicht selten wörtliche Zitate aus der Aeneis, dem Komponisten seit seiner Jugend bekannt und in Frankreich nicht weniger unverzichtbarer Schulstoff als bei uns. Das tönt ein Leben lang im Ohr nach, und der Erwachsene, wenn er Dichter oder Musikant ist, fühlt sich gedrängt, die Worte hinauszulassen und neu zu überschreiben, um sich endlich von ihnen zu lösen. Wie wir alle schleppt Berlioz die Aeneis sein Leben lang mit sich herum. So ist das Sujet seines Hauptwerkes »grandiose, magnifique et profondement émouvant«, seine Oper will er »antique«, »versaillais« und zugleich »résolument moderne«. Unmöglich? Eine Überforderung? Selbstverständlich! Oper ist per se die Kunst des Unmöglichen und der Überforderung.
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