Großes Gefühl, aber auch großer Spaß, den Aufbruch herbeisingend, Geschlechterrollen in Frage stellend und ungeheuer sexuell: So war die Berliner Operette der 1920er-Jahre. Aber was es bis in unsere Tage nicht gab, ist eine Operette mit einem schwulen Liebespaar. So entschieden Johannes Kram und Florian Ludewig, genau dies zu ändern: Sie schrieben die erste queere Operette. Ersterer war für die Texte verantwortlich, zweiterer komponierte die Musik.
Barbara Hoppe sprach mit Johannes Kram über Tschingderassabum, Schmachtwalzer und Diversität an deutschen Opernhäusern.
Feuilletonscout: Was bedeutet „Operette“ für Sie?
Johannes Kram: Wir knüpfen ja an die Berliner Operette der 1920er an, die Geschlechterrollen strapazierte, die für Aufbruch steht und auch ungeheuer sexuell ist. Unglaublich, was man sich damals getraut hat. Operette war damals mutiger als der Pop heute.
Feuilletonscout: Was lieben Sie an dem Genre Operette?
Johannes Kram: Operette ist großer Spaß und gleichzeitig großes Gefühl. Florian Ludewig und ich lieben das ganze Tschingderassabum, die luftigen Melodiebögen ohne Handbremse und gleichzeitig die Skurrilität und Albernheit. Operette ist der Soundtrack für Veränderung, oft geht es ums Träumen von einer besseren Welt, also genau das, was wir jetzt brauchen!
Feuilletonscout: Wie kamen Sie auf die Idee, eine zu schreiben?
Johannes Kram: Es gibt noch keine schwule, noch keine queere Operette. Es wurde Zeit, irgendjemand musste es ja tun! Außerdem sucht man als schwuler Autor, der schwule Geschichten schreibt, nach Genres, mit denen man Menschen auf besondere Weise erreichen und überraschen kann. Genau das haben wir vor.
Feuilletonscout: Und warum mit diesem Thema?
Johannes Kram: Weil es überfällig war. Die Frage ist ja eher, warum dieses Thema bisher noch nicht Teil der Operette ist. In dem Genre geht es oft um möglich werdende unmöglichen Lieben. Ich bin sicher, dass die Librettisten von damals heute zuallererst auch eine queere Geschichte geschrieben hätten.
Feuilletonscout: Was war die Vision von „Ihrer“ Operette, als Sie sich entschieden haben, eine zu schreiben?
Johannes Kram: Wir haben die Anmaßung zu sagen: Wir beleben die Berliner Operette neu, knüpfen also da an, wo wir vor 100 Jahren schonmal waren. Gleichzeitig wollten ein Stück schaffen, dass nicht Retro ist und keine Parodie, wir wollten die musikalische und stilistische Welt der Operette mit heutigen Bildern und Themen füllen und dabei weder modernistisch noch altbacken sein. Wir wollten das Genre erst nehmen, das heißt, dass wir es nicht allzu ernst nehmen, sondern dass es lustvoll zur Sache geht.
Feuilletonscout: Wie war die Zusammenarbeit mit Florian Ludewig?
Johannes Kram: Wichtig war uns, dass unsere Operette so klingt, wie „damals“, also auch vor über hundert Jahren hätte so komponiert werden können. Andererseits wollten wir, dass die Sprache und die Themen von heute sich in den Songs ganz selbstverständlich anfühlen. Wir mussten also gemeinsam eintauchen sowohl in das musikalische als auch in das inhaltliche und sprachliche Erbe der Operette und daraus einen neuen Kosmos bauen, in dem unsere Geschichte funktioniert. Das war wirklich ein kleines Abenteuer und sowohl eine gemeinsame rationale als auch eine sehr sinnliche Erfahrung. Florian schreibt ja sowieso wunderbare, zeitlose Melodiebögen und durch unseren Operettenkosmos haben diese nochmal eine neue Wucht und auch eine neue Leichtigkeit bekommen. Es gab keine Angst vor Kitsch, Sentimentalität und hartnäckigen Ohrwürmern, weil wir ja dafür den richtigen Rahmen hatten.
Feuilletonscout: Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Johannes Kram: Wir arbeiten da seit ziemlich genau fünf Jahren daran, natürlich mit Unterbrechungen. Die erste musikalische Präsentation gab es im März 2017 im Schwulen Museum.
Feuilletonscout: Wie haben Sie bzw. Florian Ludewig Ihrem Stück musikalisch genähert? Eher in der Tradition der Operette (schwungvolle Walzermelodien) oder mit zeitgenössischer Musik? Und warum so, wie Sie es dann schließlich gemacht haben?
Johannes Kram: Es sind wirklich schwungvolle Schmachtwalzer ganz in der Tradition der Operette aber auch einige andere Musikstile, die zum Genre gehören. Unsere Aufgabe war: Es soll so klingen wie damals, andererseits soll man gar nicht darüber nachdenken, von wann die Songs sind. Man soll sich fallenlassen können in der Operettenwelt, das Heute und Damals sollen verschmelzen. Besonders wichtig dabei war die Entscheidung, für alle 16 Songs aufwändige Orchesterarrangements entstehen zu lassen, die Martin Rosengarten wirklich fantastisch und mit viel Liebe kreiert hat. Das alles war für Florian Ludewig als musikalischer Leiter ein riesiger Aufwand erst recht für eine vergleichbar kleine Produktion. Aber wir wollten musikalisch keine Kompromisse eingehen.
Feuilletonscout: Soll die „Operette für zwei schwule Tenöre“ vor allem gut unterhalten oder haben Sie auch eine Botschaft an das Publikum?
Johannes Kram: Botschaften weiß ich nicht, aber natürlich gibt es Themen, die uns wichtig sind. Queere Beziehungen, offen homosexuelle Partnerschaften sind in unserer Gesellschaft zwar heute möglich und sichtbar. Aber es gibt wenig, worauf sie aufbauen können, keine Traditionen, Vorbilder und viel zu wenig positive Erzählungen. Davon handelt unser Stück. Das ist auch unterhaltsam, es ist witzig und gleichsam berührend und macht im besten Fall auch nachdenklich. So, wie Theater immer sein sollte.
Feuilletonscout: Ist Ihre Operette auch eine Liebeserklärung? An das Landleben? An Berlin? An die Vielfalt? An die Musik? Oder, oder, oder…?
Johannes Kram: Eine Liebeserklärung an das alles. Und gleichzeitig wird klar: Was der eine liebt, ist für den anderen die Hölle. Es geht auch darum, den anderen dafür zu lieben, was er liebt.
Feuilletonscout: Haben Sie den Eindruck, dass das Publikum gegenüber queeren Themen auf der Bühne in den vergangenen Jahren aufgeschlossener wurde? Gerade in den klassischen Genres wie Oper und Operette findet man ja häufig eher konservatives Publikum.
Johannes Kram: Die Theaterwelt tut so liberal, aber queere Themen werden oft immer noch mit Exotik, Minderheitenkitsch und Schenkelklopferhumor aus den 1950ern unterfüttert, auch in vermeintlich progressiven Produktionen. Ich finde es wirklich skandalös, wie wenig wirkliche Diversität sich das Deutsche Theater sich und ihrem Publikum gönnt. Gerade das üppig staatlich finanzierte deutsche Musiktheater, das ja den Luxus hat, weitgehend ohne Risiko produzieren zu können, hätte sich längst so etwas trauen müsse, das sich das BKA-Theater jetzt traut, das ja nicht diese Sicherheit hat. Nach tausendmal Fledermaus, hätte es ruhig zumindest ein bisschen Diversität auf dem Operettenspielplan geben dürfen. Gerade weil Musik verbindet und Zugänge auch so Themen ermöglicht, die einem eher fremd erscheinen, wäre es Aufgabe der Macherinnen von Musiktheater gewesen, hier mehr zu probieren.
Feuilletonscout: Haben Sie mit der „Operette für zwei schwule Tenöre“ Erfahrungen in anderen Städten als Berlin gemacht?
Johannes Kram: Wir hatten konzertante Präsentationen unserer Songs auch außerhalb von Berlin und bisher war es immer ein riesiger Erfolg. Wir bekommen Mail aus ganz Deutschland, wann endlich das Stück fertig ist und auch von Paaren, die einige der Songs für Hochzeiten haben wollen.
Feuilletonscout: Was wünschen Sie sich, soll das Publikum nach einem Abend mit Ihrer Operette mit nach Hause nehmen?
Johannes Kram: Neue Ohrwürmer, richtig gute Laune und ein paar neue Gedanken im Kopf über queeres Leben in Deutschland.
Vielen Dank für das Gespräch, Johannes Kram!
Operette für zwei schwule Tenöre
Florian Ludewig (Musik) und Johannes Kram (Buch, Liedtexte)
Darsteller: Ricardo Frenzel Baudisch und Felix Heller
sowie ein dreiköpfiger Chor (Tenor, Bass, Bariton) mit Tanz
alle Termine bis Mitte Oktober hier
BKA-Theater
Mehringdamm 34
10961 Berlin-Kreuzberg
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